"Das Samusocial schlittert von einem Skandal in den nächsten", titelt Le Soir. "Der Präsident des Samusocial sorgt für Empörung", so die Schlagzeile von La Libre Belgique.
Wieder Aufregung um das Samusocial, die Brüsseler Vereinigung also, die sich um Obdachlose kümmert. Erst gab es die Affäre um überzogene Sitzungsgelder, über die unter anderem der Brüsseler PS-Bürgermeister Yvan Mayeur gestolpert war. Und am Mittwoch kam dann eine explosive E-Mail ans Licht. Darin wendet sich Michel Degueldre, der scheidende Verwaltungsratsvorsitzende des Samusocial, an den Kommunikationsverantwortlichen der Organisation. Degueldre verlangt, "gründliche Nachforschungen" über zwei Journalisten und einen Brüsseler Ecolo-Abgeordneten, die sich besonders kritisch dem Samusocial gegenüber gezeigt hatten. Nachforschungen unter anderem über das Leben, die Gewohnheiten, die Freunde oder die Familie der Betreffenden. L'Avenir spricht denn auch von der "beängstigenden E-Mail des Samusocial-Präsidenten".
Die Enthüllung sorgte für einen Sturm der Entrüstung; allen voran Journalisten-Verbände gingen auf die Barrikaden: "Das ist haarsträubend. Das fühlt sich an wie in Moskau", empört sich Jean-François Dumont, der stellvertretende Generalsekretär des frankophonen Journalisten-Verbands AJP in L'Avenir. "Das sind Mafia-Methoden mit faschistischem Anstrich", wettert der Generalsekretär des europäischen Journalisten-Verbands in Le Soir.
Leidenschaftlicher Hass auf die Medien?
Die Leitartikler schlagen in dieselbe Kerbe. "Der helle Wahnsinn", meint etwa La Libre Belgique. Leider ist hier ein weltweiter Trend zu erkennen. Donald Trump in den USA oder François Fillon in Frankreich pflegen ebenfalls einen leidenschaftlichen Hass auf die Medien, und zwar vor allem dann, wenn sie mit den eigenen Verfehlungen konfrontiert werden. Das sind längst keine Kinkerlitzchen mehr.
"Um Himmels Willen! In welcher Welt leben wir denn?", fragt sich entgeistert L'Avenir. Beim Lesen der E-Mail macht sich so eine Mischung aus Abscheu, Wut und Angst breit. Da wird mal eben jemand damit beauftragt, das Privatleben von Journalisten zu durchleuchten…Eigentlich hätte man sich gewünscht, dass sich in der Politik und innerhalb der Vereinigung eine gewisse Form von Einsicht einstellt. Stattdessen scheint sich so mancher noch zu radikalisieren und sich dabei definitiv zu entfernen von einer Demokratie, die diesen Namen verdient.
Für De Morgen lässt die E-Mail im wahrsten Sinne des Wortes tief blicken. Hier zeigt sich, wie groß in gewissen Kreisen die Verachtung ist, die der Presse entgegengebracht wird. Und dieses Gefühl sitzt so tief, dass es nicht erst von gestern stammen kann. Im Klartext: Man muss sich die Frage stellen, wie lang das schon so geht. Waren es nicht erst solche Einschüchterungspraktiken, die dazu geführt haben, dass die Irrungen und Wirrungen der Brüsseler PS so lange im Verborgenen bleiben konnten?
"Zirkus" im Wallonischen Parlament
Aber auch politisch geht es im frankophonen Landesteil weiter drunter und drüber. Am Mittwoch kam es im Wallonischen Parlament in Namur zu einem "Eklat", wie es das GrenzEcho formuliert. PS und CDH lieferten sich hitzige Wortgefechte. Gestritten wurde insbesondere über die mögliche Abschaffung der Radio- und Fernsehgebühr. Das Urteil von L'Avenir ist unbarmherzig: "Das Wallonische Parlament hat einen Tiefpunkt erreicht, schreibt das Blatt. La Dernière Heure spricht ihrerseits nur noch von einem "Zirkus".
Die Atmosphäre ist inzwischen gefährlich vergiftet, warnt Le Soir. Insbesondere der Rosenkrieg zwischen PS und CDH hat in den letzten Wochen zudem für eine Serie von offensichtlichen Abrechnungen gesorgt. Einer nach dem anderen landeten Politiker wegen angeblicher oder tatsächlicher Verfehlungen am Pranger. Das schadet der Politik in ihrer Gesamtheit. Es wird höchste Zeit, dass sich die Verhältnisse wieder normalisieren. Man könnte es so ausdrücken: Einer hat den Stecker gezogen; und danach sind allen die Sicherungen durchgebrannt. "Jetzt reicht's!", findet Le Soir.
Heute kommen übrigens MR, CDH und Ecolo zu einer neuen Verhandlungsrunde zusammen. Le Soir spricht sinngemäß vom "D-Day", dem Tag, an dem alles kippen kann. In De Standaard dämpft Ecolo-Co-Präsidentin Zakia Khattabi die Erwartungen: "Wir werden uns nicht an den Regierungen beteiligen", sagt Khattabi.
Ammenmärchen um die schwarze Null?
Viele flämische Zeitungen kommen zurück auf die Entscheidung der Föderalregierung, nun doch das Ziel einer schwarzen Null fallen zu lassen. N-VA-Chef Bart De Wever hatte am Dienstag erklärt, dass man nicht mehr für 2019 ein Haushalts-Gleichgewicht anpeilen werde. Wer den Menschen weismache, dass innerhalb der nächsten zwei Jahre acht Milliarden Euro eingespart werden könnten, der erzähle Ammenmärchen, sagte De Wever.
"So, so, … Ammenmärchen", stichelt sarkastisch Het Nieuwsblad. Die Frage ist, seit wann die schon erzählt werden. De facto hat die Föderalregierung die schwarze Null nämlich schon längst in den Wind geschossen. Nur zugeben wollte man das bislang nicht. Dabei war das Haushalts-Gleichgewicht doch eigentlich eines der zentralen Versprechen dieser Regierung.
Het Laatste Nieuws sieht das ähnlich. Wenn die Regierung den Menschen jetzt keine Märchen erzählen will, dann gilt das nicht für die Vergangenheit. Da wurden Einkünfte chronisch überschätzt, die Zahlen mit allerlei Tricks geschönt. Die Abkehr von der schwarzen Null mag aus wirtschaftlicher Sicht nachvollziehbar sein. Klar darf man die Konjunktur jetzt nicht abwürgen. Und doch ist es ein großes Versäumnis, fasst schon eine Erbsünde, dass diese Regierung nicht aus den roten Zahlen herauskommt. Gerade erst wurden die Kosten, die durch die Vergreisung der Gesellschaft entstehen, nach oben korrigiert. Wer das ignoriert, der erzählt den Bürgern Ammenmärchen.
Roger Pint - Archivbild: Nicolas Lambert/BELGA