"Helmut Kohl – 1930-2017", titelt nüchtern De Standaard. "Der Kanzler der Wiedervereinigung", schreibt La Libre Belgique auf Seite eins. Het Belang van Limburg nennt ihn den "Vater der deutschen und auch der europäischen Einheit".
Der deutsche Altkanzler Helmut Kohl ist am Freitag im Alter von 87 Jahren gestorben. 16 Jahre lang war er Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland. In seine Regierungszeit fiel bekanntlich der Fall der Mauer. Die anschließende Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten war vor allem auch sein Verdienst. Im Gedächtnis geblieben ist auch das berühmte Foto von 1984, auf dem Kohl und der damalige französische Staatspräsident François Mitterand sich bei der Hand haltend die Versöhnung beider Staaten noch einmal bekräftigen. "Der deutsche Riese von Europa", so bringt es De Standaard auf den Punkt. Le Soir nennt ihn "das Symbol der Einheit". "Der große Europäer ist zu den Sternen gegangen", so formuliert es blumig La Libre Belgique.
Das Ende seiner politischen Laufbahn war weniger glorreich: Helmut Kohl geriet wegen einer Spendenaffäre ins Zwielicht und wurde von seiner politischen Ziehtochter Angela Merkel ausgebootet. Die nannte der "Riese aus dem Rheinland", wie ihn De Morgen tituliert, abschätzig nur "das Mädchen".
Europäische Träume statt deutschem Denken
Viele Leitartikler heben aber vor allem die Verdienste des deutschen Altkanzlers hervor. Kohl war mit Sicherheit ein skrupelloser Machtpolitiker, meint Het Laatste Nieuws. Er war bestimmt auch nicht der Klassenprimus. Charisma war auch nicht gerade seine große Stärke. Und doch würdigten ihn sogar die Amerikaner als den "größten europäischen Nachkriegspolitiker". Die deutsche Wiedervereinigung ist zweifelsohne sein Verdienst. Weil er sich aber der Gefahren bewusst war, des Misstrauens insbesondere der Franzosen angesichts eines wiedervereinten Deutschlands, wurde er erst recht zum großen Europäer, tauschte deutsches Denken ein gegen europäische Träume. Das Ergebnis war unter anderem der Euro.
Het Nieuwsblad nennt Helmut Kohl den "Architekten der EU". Kohl blieb zwar zeitlebens zuallererst ein Deutscher und war dann erst überzeugter Europäer. Doch akzeptierte er die Einführung des Euro, quasi als Schmiermittel, um sich die Unterstützung Frankreichs bei der deutschen Wiedervereinigung zu sichern. Kohl hat der heutigen EU Form gegeben. Dafür sollte man ihm ein Denkmal setzen. Wie groß das sein soll, darüber muss noch die Geschichte urteilen.
Spätestens seit Kohl ist Deutschland ein wichtiger Motor des europäischen Integrationsprozesses, konstatiert L'Avenir. Dabei sind die Deutschen zum Schlimmsten wie zum Besten in der Lage: Auf der einen Seite die knallharte, unnachgiebige Haltung Griechenland gegenüber. Auf der anderen Seite dann aber die großherzige Aufnahme von Millionen von Flüchtlingen. Helmut Kohl konnte diese Entwicklungen nicht vorausahnen. Wenn aber Angela Merkel so gehandelt hat, dann agierte sie letztlich im Sinne der tiefen, europäischen Verankerung Deutschlands, die Kohl begründet hat.
Das "alte Europa" erwacht wieder
Apropos Europa: La Libre Belgique sieht in ihrem Leitartikel Indizien dafür, dass das "alte Europa" wiedererwacht. Jüngster Hinweis darauf ist die Entwicklung in Frankreich, wo der neue Präsident Emmanuel Macron im Begriff ist, bei der zweiten Runde der Parlamentswahl am Sonntag einen Erdrutschsieg zu erringen. Zuvor hatten auch schon Österreich und die Niederlande den Populisten einen Dämpfer verpasst. In Großbritannien haben die Wähler versucht, den regierenden Konservativen klarzumachen, dass sie keinen harten Brexit wollen.
Das alles ist sehr erfreulich. Insbesondere Emmanuel Macron zeigt uns, wie es geht: Politiker müssen aufhören, den Menschen das Blaue vom Himmel zu versprechen. Und zugleich Europa wieder in den Vordergrund rücken.
"Das Brüsseler Labyrinth"
Innenpolitisch dreht sich aber heute wieder alles um den Brüsseler Affärensumpf. Viele Zeitungen hatten dieselbe Idee: Sie haben das Dickicht der Brüsseler Vereinigungen und Interkommunalen einmal aufgedröselt. "Das Brüsseler Labyrinth", titelt De Morgen. De Standaard präsentiert "alle Brüsseler VoEs, ihre Mandate und die entsprechenden Vergütungen". Das Ergebnis, kurz zusammengefasst: 200 Einrichtungen, 1.400 Posten, Sitzungsgelder in Höhe von insgesamt 1,2 Millionen pro Jahr. Weil das alles so undurchsichtig ist, fordern die flämischen Sozialisten jetzt eine Art Moratorium: "Legt alle Sitzungsgelder bis auf Weiteres auf Eis", verlangt die SP.A auf Seite eins von Het Laatste Nieuws. Erst müsse Klarheit geschaffen und müssten auch die Ämterhäufungen abgestellt werden, sagen die flämischen Sozialisten. Erst dann könne man den Betrieb wiederaufnehmen.
Laut L'Echo will die Stadt Brüssel hier aber vorpreschen. Der neue Bürgermeister Philippe Close verspricht, die Ämter aller Brüsseler Mandatsträger offenzulegen. Außerdem sollen die Bezüge drastisch gesenkt werden. L'Echo spricht denn auch auf Seite eins von einer Aktion "Saubere Hände", einem Großreinemachen.
"Der Wildwuchs der zudem viel zu komplexen Strukturen, das hatte System", analysiert De Morgen in seinem Leitartikel. Ein solcher Dschungel bietet viel Raum für Missbräuche aller Art. Deswegen muss die institutionelle Landschaft in der Hauptstadt dringend gestrafft werden. Schluss mit Ämterhäufung, wobei die diversen Vergütungen zugleich gedeckelt werden müssen! Hier muss das Unkraut ausgezupft werden, damit die gesunden Pflänzchen sich entfalten können. Ansonsten gilt das französische Sprichwort: Wenn alle Angewiderten gehen, dann bleiben die Widerlichen übrig.
Le Soir richtet auch einen flammenden Appell insbesondere an die frankophonen Sozialisten: Die strauchelnde PS reißt ganz Brüssel mit in den Abgrund. Flandern hat die Hauptstadtregion ohnehin immer schon mit hochmütiger Verachtung betrachtet. Die Irrungen und Wirrungen der Sozialisten sind nur Wasser auf diese Mühlen. Auch das internationale Image der Stadt leidet gehörig unter der Skandalserie. Der PS bricht gerade die Machtbasis weg: Ihre bisherige Strategie geht den Bach runter. Für die Sozialisten ist das bitter, für Brüssel ist das Ganze eine Katastrophe.
Roger Pint - Archivbild: Frank Leonhardt/AFP