"Erdogan in der Versuchung, die Verwandlung der Türkei in eine Diktatur abzuschließen", so die Schlagzeile von L'Écho. "Erdogan sägt an dem Ast, auf dem er sitzt", schreibt De Morgen auf Seite eins.
Nach dem vereitelten Staatsstreich in der Türkei gehen die Säuberungen weiter. Rund 6.000 mutmaßliche Putschisten wurden festgenommen. Tausende Richter und hohe Beamte wurden ihrer Ämter enthoben. De Standaard spricht von einer "Hexenjagd". "Der türkische Präsident Erdogan schadet damit aber nur seinem Land und damit sich selbst", analysieren Experten in De Morgen. Der Staat werde buchstäblich ausgehöhlt, weil er kurzfristig auf viel zu viele kompetente Leute verzichten müsse.
Hexenjagd in Beringen
Allerdings: "Wenn es Istanbul regnet, dann tröpfelt es in Limburg", kann De Morgen nur feststellen. Tatsächlich ist es vor allem im limburgischen Beringen zu Zusammenstößen zwischen Anhängern und Kritikern des türkischen Präsidenten gekommen. Het Nieuwsblad spricht in diesem Zusammenhang ebenfalls von einer "Hexenjagd", diesmal aber "auf die flämischen Gegner von Erdogan".
Besonders im Fadenkreuz sind Anhänger des türkischen Predigers Gülen, einem langjährigen Gegner von Erdogan, der von Ankara als der Drahtzieher des Putsches bezeichnet wird. "Die flämische Regierung muss die Gülen-Bewegung unter die Lupe nehmen", zitiert Gazet van Antwerpen einen Sprecher der türkischen Botschaft in Brüssel auf ihrer Titelseite. Die Gülen-Bewegung sei eine terroristische Vereinigung. Innerhalb der türkischen Gemeinschaft in Belgien brodelt es derweil weiter. Geschäfte, die der Gülen-Bewegung zugeordnet werden, werden boykottiert. Betroffene ziehen Vergleiche mit der Situation jüdischer Geschäftsleute in den 1930er Jahren in Deutschland. Erdogan-Anhänger rufen im Internet sogar zur Gewalt gegen Anhänger von Gülen auf. "Jeder dieser Hassprediger wird juristisch verfolgt", warnt jetzt der limburgische Provinzgouverneur auf Seite eins von Het Belang van Limburg.
Integrationsproblem
Dass Erdogan seine Säuberungsaktion gleich über ganz Europa verbreitet, ist extrem beunruhigend, meint De Morgen in seinem Leitartikel. Beringen ist da - auf Belgien bezogen - nur die Spitze des Eisbergs. Und doch bleibt die Reaktion vieler europäischer Politiker allzu verhalten. In Belgien kann gar ein türkischer Diplomat ungestört im Netz angebliche Regimegegner bedrohen. Europa hat Erdogan offensichtlich viel zu nötig. Je länger eine entschlossene Reaktion insbesondere von Premier Charles Michel ausbleibt, desto tiefer wird der Graben innerhalb der türkischen Gemeinschaft.
Auch Het Nieuwsblad sorgt sich über die Zusammenstöße insbesondere in Beringen. Kaum hatte die Hexenjagd in der Türkei begonnen, da reproduzierte sich exakt das gleiche auch bei uns. Hier stellt sich eine grundsätzliche Frage: Wie ist es möglich, dass junge Menschen, die hier aufgewachsen sind, so blindlings, kritiklos und fanatisch dem Präsidenten eines Landes nachlaufen können, in dem sie nie gewohnt haben? Die Antwort ist wenig rühmlich für die politisch Verantwortlichen in Belgien: Wir haben hier offensichtlich ein ausgewachsenes Integrationsproblem.
Die Türkei: Albtraum für EU und Nato?
Het Laatste Nieuws kann sich seinerseits nur wundern, dass die EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei nicht augenblicklich abgebrochen worden sind. Es ist doch offensichtlich, dass der türkische Präsident Erdogan den Staatsstreich schamlos ausnutzt, um tausende Richter und Staatsbeamte, die er als Störenfriede empfunden hat, loszuwerden. Obendrauf will er die Todesstrafe wieder einführen. Die Türkei liefert den Beweis, dass auch ein mehr oder weniger demokratisch gewähltes Regime in eine Diktatur entarten kann. Wer, bitte schön, will denn mit einem solchen Land gemeinsam in einer EU leben?
Auch für L'Écho ist die Türkei im Begriff, den Club der demokratischen Staaten definitiv zu verlassen. Denn eins muss klar sein: Eine Demokratie beschränkt sich nicht auf die Tatsache, dass regelmäßig Wahlen stattfinden. Damit einher geht auch eine Reihe von Werten. Und die Meisten davon werden gerade in Ankara ausgehebelt. Neben einer immer noch hypothetischen EU-Mitgliedschaft stellt sich auch hier die Frage, ob eine solche Türkei langfristig Teil der Nato bleiben kann.
Insbesondere für die Europäische Union sind die Ereignisse in der Türkei ein regelrechter Albtraum, glaubt De Standaard. Nicht vergessen: Noch vor kurzem hat die EU Visa-Erleichterungen für türkische Staatsbürger, nach wie vor sogar eine EU-Mitgliedschaft für die Türkei, in Aussicht gestellt. Dies als Gegenleistung dafür, dass Erdogan die Flüchtlinge daran hindert, nach Europa zu kommen. Dabei hatte Ankara auch vorher schon den Weg eines Rechtsstaats in vielen Bereichen verlassen. Das erklärt dann auch die doch immer noch verhaltenden Reaktionen der europäischen Politiker: Wie kann man die Türkei jetzt dazu aufrufen, rechtsstaatliche Prinzipien zu respektieren, nach dem, was man vorher toleriert hatte.
Terror- und Wohlstandsängste
"Doping - der Bericht, der Russland an den Pranger stellt", titelt derweil Le Soir. Die Welt-Anti-Doping-Agentur ist ja zu dem Schluss gekommen, dass es auch bei den Olympischen Winterspielen in Sotschi ein staatlich organisiertes Doping-System gab. Sogar der Inlandsgeheimdienst hat mitgeholfen. "Darf Russland nach Rio?", fragt sich denn auch De Morgen. Nicht auszuschließen ist, dass am Ende alle russischen Sportler bei den Olympischen Spielen gesperrt werden, also nicht nur die Leichtathleten...
"800 zusätzliche Sicherheitskräfte am Nationalfeiertag, allein in Brüssel", titelt Het Laatste Nieuws. Nach dem Anschlag von Nizza haben die Brüsseler Behörden die Sicherheitsvorkehrungen noch einmal verschärft...
"Junge Menschen sind erstmals ärmer als ihre Eltern", so die Aufmachergeschichte von De Standaard und Het Nieuwsblad. Die jüngeren Generationen werden ärmer; das ist genau das, was ihre Eltern eigentlich immer befürchtet haben. Belgien ist da aber anscheinend eine Ausnahme, da die Krise hierzulande längst nicht so hart zugeschlagen hat wie in den meisten anderen Ländern.
Roger Pint - Bild: Adem Altan/AFP