"Erdogan schlägt zurück", titelt De Morgen. "Erdogans Antwort auf den gescheiterten Putsch: 6.000 Festnahmen", titeln Het Nieuwsblad und Gazet van Antwerpen. "Erdogan und die autoritäre Versuchung", meint La Libre Belgique. "Viele offene Fragen in der Türkei", notiert L'Avenir auf Seite eins.
Zwei Tage nach dem Militärputschversuch und einer dramatischen Nacht mit über 290 Toten blicken alle Zeitungen mit Sorge auf die Entwicklungen in der Türkei. Vor allem das harte Vorgehen von Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan gegen seine politischen Gegner bereitet den Leitartiklern Kopfschmerzen.
Het Nieuwsblad meint: Der gescheiterte Militärputsch und die massive Unterstützung der Bevölkerung in Istanbul und Ankara hätten eigentlich eine Stärkung der Demokratie sein können. Doch für Präsident Erdogan sind die Ereignisse ein perfektes Alibi, um mit seinen Kritikern abzurechnen. In den türkischen Großstädten spielen sich regelrechte Lynchszenen ab, 6.000 Soldaten, Richter und Staatsanwälte sind seit Samstag festgenommen worden. Eine Stärkung der Demokratie sieht anders aus, urteilt das Blatt.
De Standaard meint: Erdogan betrachtet den Putschversuch als "Geschenk Gottes". Die eiserne Faust, mit der er regiert, wird jetzt noch härter, so die Befürchtung der Zeitung.
Wird Erdogan zum Diktator?
La Libre Belgique sieht den türkischen Präsidenten auf dem gefährlichen Weg zur Diktatur. In Armee und Justiz hat eine große "Säuberungsaktion" gegen Regierungskritiker begonnen. Das türkische Parlament soll über die Wiedereinführung der Todesstrafe beraten. Das alles ist wohl nur der Anfang, befürchtet das Blatt. Auch De Morgen findet: Wenn in den kommenden Monaten beim Militär, der Polizei, der Staatsanwaltschaft und den Medien in der Türkei nur noch Erdogan-Gefährten platziert werden, dann entwickelt sich das Land tatsächlich zur Diktatur.
Le Soir fügt hinzu: In der Putschnacht haben türkische Bürger ihre Demokratie gerettet, doch jetzt wird sie, durch eine nicht mindere Bedrohung, gefährdet. In Erdogans Welt gibt es nur zwei Lager: Die Guten, das sind diejenigen, die ihn gewählt haben und ihn unterstützen; und die Bösen, das sind alle anderen. Und gegen die geht der türkische Staatspräsident nicht gerade zimperlich vor.
"Wer steckt hinter dem misslungenen Putsch?", fragt sich unterdessen L'Avenir. Derzeit ist es schwierig, den Durchblick zu erhalten. Eins steht aber fest: Erdogan wird vom Umsturzversuch profitieren. Auch Gazet van Antwerpen stellt sich Fragen. Dass Erdogan eine Liste mit 3.000 zu entlassenen und festzunehmenden Richtern in der Schublade hatte, könnte entweder darauf hinweisen, dass er auf eine solche Verzweiflungstat seiner Gegner gehofft hatte oder dass er den Putsch möglicherweise sogar selbst inszeniert hat. Wie dem auch sei: Erdogan sitzt fester im Sattel denn je und ist zweifellos der starke Mann der Türkei. De Morgen kann jedenfalls nur feststellen, wie dilettantisch die Putschisten vorgegangen sind. Haben sie wirklich geglaubt, dass es ausreicht, das Gebäude des Staatsfernsehens und ein paar Brücken über dem Bosporus zu besetzen, um an die Macht zu gelangen?
Von Gut und Böse
Het Belang van Limburg notiert: Recep Tayyip Erdogan hat der Türkei viel Gutes gebracht. Knapp 100 Jahre nachdem Atatürk die moderne Türkei aus den Trümmern des Osmanischen Reichs stampfte, hat Erdogan das Land ins 21. Jahrhundert geführt und seinen Landsleuten Wohlstand sowie Demokratie gebracht. In den letzten Jahren ist er aber dabei, seine Macht in der Türkei auszubauen und den Begriff Demokratie definiert er längst grundlegend anders als ein Demokrat. Der gescheiterte Putschversuch vom Wochenende hat das noch einmal deutlich gemacht. Erdogan kann jetzt selbst entscheiden, wie die Geschichte weitergeht.
Het Nieuwsblad merkt an: Die Folgen seiner aktuellen Politik sind desaströs - zu spüren bis in die türkischen Gemeinschaften unserer Städte in Europa und Belgien. Erdogan hat es geschafft, seine Anhänger davon zu überzeugen, dass wer nicht hinter ihm steht, automatisch verdächtig ist. Mit Demokratie hat das alles nichts mehr zu tun, beschließt das Blatt.
"Die Welt steht Kopf"
De Standaard bemerkt: Auf dem geopolitischen Schachbrett verliert der Westen jeglichen Einfluss auf eine weitere, wichtige Figur im Nahen Osten. Ob Kampf gegen den IS oder Flüchtlingskrise: Die Beziehungen von EU und Nato zu Ankara werden noch komplizierter und angespannter als zuvor. Insgeheim dürfte Wladimir Putin sich wieder ins Fäustchen lachen, ist die Zeitung überzeugt.
Het Laatste Nieuws meint: Unsere Welt steht Kopf. Der mörderische Anschlag von Nizza, der Putschversuch in der Türkei und dazu noch drei getötete Polizisten in der US-Stadt Baton Rouge. Es scheint, als ob brutale Gewalt inzwischen unseren Alltag bestimmt. Was für ein Kontrast zu dem relativ sorglosen Leben, das wir bisher geführt haben.
Alain Kniebs - Bild: Bulent Kilic/AFP