Es war Ende der 60er Jahre, als uns der Deutschlehrer mit drei Kreuzchen ein Dreieck auf der Tafel zeichnete, jedes als Standort für ein Kulturzentrum für die drei Gemeinschaften, von denen es plötzlich hieß, dass sie Belgien bilden würden. Es war eine Zeitenwende für uns Schüler - in der dritten Klasse, wie man heute sagen würde. Damals war es die vierte, rückwärts gezählt. Nicht selten wurde sie die "quatrième" genannt.
Was ich damit sagen will: Es ging um die Sprache. Gleichzeitig herrschte eine Luft wie zum Schneiden, der Sprachkampf tobte, und beide Seiten führten das gleiche Argument ins Feld: den demokratischen Weg zur Hochschule. Die einen, indem sie auf den Vorrang des Französischen pochten, die anderen, indem sie weniger sprachbegabten Jugendlichen den Einstieg in die Mathematik oder die Physik nicht verbauen wollten.
Doch es wurde nichts aus dem Kreuzchen auf der Tafel, es kam kein Kulturzentrum, Karl-Heinz Köpcke in der Tagesschau - Kuli und seine Show "Einer wird gewinnen" sowieso - waren für die Verbindung zum deutschen Sprachraum zuständig. Die Zeitung war in manchen Augen belastet, die konkurrierende Zeitung aus Aachen in den Augen der anderen, der BHF als Vorläufer des BRF schaffte neues sprachliches Bewusstsein. Nicht zu vergessen die Pioniere im damaligen recht überschaubaren Kulturwesen, wie etwa "Kunst und Bühne".
Ein Vorteil: Statt des bisweilen strapazierten Begriffs einer "Identität" oblag diese jedem Einzelnen, wenn er sich im Landesinneren positionierte. Offiziell tat sich nichts oder wenig, wohl gegenüber der Sprachgrenze: Welkenraedt und Malmedy sollten zu kulturellen Frontstädten ausgebaut werden, doch auch das glückte nicht oder nur teilweise. Dem damaligen Malmedyer Bürgermeister war die damals herrschende Kultur zu "links" - das war damals Zeitgeist - und in Welkenraedt fielen die Pyramiden etwas zu groß aus. Eupen bekam gar nichts hin, auf der offiziell-politischen Bühne, auch nicht ein Kongresszentrum, mit oder ohne Planetarium, als es hieß (schon vor Bill Clinton), die Ökonomie habe Vorrang.
Gut, dass ein neuer Machthaber im Kreml Glasnost und Perestroika zum Leitmotiv machte, die Zweiteilung der Welt überwunden schien, und jugendliche Kulturinteressierte sich wie selbstverständlich für alternative Kultur begeisterten und dies auf die Straße brachten - mit einer begrifflichen Anlehnung an eine Verbindung von Ost und West, von neuer Zeit und Klassik, Chudoscnik Sunergia, eine geniale Wortschöpfung im Spiegel ihrer Zeit. Und wiederum dauerte es fast 20 Jahre bis zur Umsetzung der Schlachthof-Idee. Schlachthof - auch so ein Begriff, der zur Vorstellung alternativer Kultur passte.
Der Kulturbetrieb hatte sich verändert, internationalisiert, zum Teil kommerzialisiert, auf dem Markt von sommerlicher Straßenkunst und neuen Zirkusschulen. Richtig feine Sachen zeigten die Kulturanbieter im wunderbar angestaubten Jünglingshaus und dem nostalgischen Capitol, wunderbar geeignet für Kleinkunst. Häuser, die man sich mit einem zu neuer Vitalität erstarkten Kulturellen Komitee teilte.
Der konzeptuelle Begriff einer "Kulturmeile", an den sich die Politik als Antwort zur St. Vither Herausforderung mehr schlecht als recht geklammert hatte, funktionierte tatsächlich. In seiner embryonalen Form, mit einer Bar im Capitol, die jeden Filmemacher verzückt hätte. Fast konnte man vergessen, wenn die Zuschauerkulisse bedenklich spärlich war, dabei zeigten etwa figuma oder szenario Sachen, die auch in London, Paris München oder Berlin Bestand hätten.
Doch für die Kulturmeile wurde zu groß gedacht, exit die Balkonbar im Capitol, ebenso wie das Gebäude. Es hängt in einer Foto-Reihe mit den beiden Todsünden Scheibler-Haus und Wetzlarbad.
Architektonisch ist die Rettung der industriellen Baukunst des Schlachthofs der Kaiserzeit geglückt. Gespannt darf man sein, welchen Schwung der Bau, pardon, die "Location", für Zuspruch und Publikumsinteresse bringt.
Frederik Schunck