Nur ein Interview-Fetzen im RTBF-Fernsehen hat in dieser Woche gereicht, um die ganze Milchkrise eindrucksvoll zusammenzufassen. Ein Jung-Landwirt beginnt, die Problematik zu schildern, die ihm und seinem Betrieb so zu schaffen macht, doch schon nach drei Sekunden bricht die Stimme weg und der Mann ringt mit den Tränen. Der gemeine Landwirt ist in der Regel ein harter Knochen; insofern hat das Bild seine Wirkung nicht verfehlt.
Die Lage ist dramatisch. Milch- und auch Schweinebauern verkaufen mit Verlust. Und das bestätigen längst auch unabhängige Studien. Überleben können sie oft nur, wenn sie sich selbst kein Gehalt auszahlen; die Landwirte arbeiten damit umsonst. Ohne ein zweites Einkommen, das meist der Ehepartner zur Haushaltskasse beisteuert, wären viele Bauern längst am Ende.
Und diese neuerliche Krise ist für viele wohl die Krise zu viel. Das ist umso bitterer, als das Problem - zumindest was die Milch angeht - vorhersehbar war, spätestens seit der Abschaffung der Milchquotenregelung und dem gleichzeitig andauernden russischen Boykott.
Der eine oder andere mag nun hingehen und behaupten, das seien nunmal die Zeichen der Zeit, hier laufe eben eine darwinistische Auslese nach kapitalistischen Standards, nach dem Motto: Nur der Stärkere überlebt. Solche Überlegungen sind aber im Fall der Landwirte eindeutig ein tragischer Irrweg. Hier geht es um mehr. Hier geht es um unser unsere Nahrungsmittel, unser Gesellschaftsmodell.
Welche Welt wollen wir? Welche Landwirtschaft wollen wir? Welche Nahrungsmittel wollen wir? Wollen wir wirklich nur noch anonyme Großbetriebe, die tausende Tiere halten und die Landwirtschaft allein nach industriellen Standards betreiben?
Gut, man sollte nichts verklären. Auch Kleinbetriebe haben mitunter wenig mit Heidi-Romantik zu tun. Die jüngst in der ARD ausgestrahlte Doku über "das Leiden der Turbokühe" hat anhand von zum Teil drastischen Bildern gezeigt, dass auch die Welt der Kleinbauern nicht immer rosa-rot sein muss. Wenn's sich vielleicht auch nur um Einzelfälle handeln mag, die Landwirte wären vielleicht dennoch gut beraten, alles zu tun, um sich möglichst in allen Punkten von den Industrieunternehmen zu unterscheiden, deren Gegenmodell sie darstellen wollen; und das gilt auch und besonders für eine möglichst artgerechte Haltung ihrer Tiere.
Eine rein industrielle Landwirtschaft, die nur doch aus anonymen, multinationalen, robotisierten Mega-Komplexen besteht, würde aber in jedem Fall alle Probleme noch einmal vervielfachen. Mal ganz davon abgesehen, dass man zumal in Ostbelgien getrost ein Kreuz drüber machen kann. Die Böden und die Landschaft geben einfach nicht genug her, um für solche Betriebe attraktiv zu sein. Im Grunde gilt diese Überlegung gleich für das dicht besiedelte und zersiedelte Belgien in seiner Gesamtheit. Gerade bei uns geht es auf Dauer um die Zukunft der Landwirtschaft insgesamt und damit auch um unsere Nahrungsmittelsicherheit. Genau an diesem Scheideweg stehen wir jetzt.
Dabei dreht sich im Augenblick alles gerade einmal um zehn Cent. Rein rechnerisch betrachtet würde es reichen, wenn der Tetra-Pak Milch 10 Cent mehr kostet, die dann eins zu eins an die Bauern abgeführt würden, damit deren Welt zumindest wieder halbwegs in Ordnung wäre. Zehn Cent je Liter. Ist das wirklich so unmöglich?
Diese Frage richtet sich an alle Glieder der Kette, in erster Linie aber an uns alle, die Verbraucher, den Kunden. Denn der Kunde ist König; er kann über sein Kaufverhalten Zeichen setzen. Wollen wir wirklich nur billig, billig, billig? Koste es, was es wolle?
Genau diese Haltung führt jedenfalls im Moment zu den absurdesten Auswüchsen. Ist es normal, dass Betriebe in Belgien Milch aus dem Ausland verarbeiten, während die heimischen Kühe nebenan grasen? Ist es normal, dass landwirtschaftliche Erzeugnisse, die aus Übersee eingeführt werden, mitunter immer noch günstiger sind, als die heimische Produktion? Grund dafür ist unter anderem, dass hier der Wettbewerb verzerrt ist. In den USA zum Beispiel sind die Nutzflächen quasi mal eben so groß wie Belgien. Insofern hat die Zeitung De Standaard Recht, wenn sie fordert, dass der Transportweg und damit der ökologische Fußabdruck mit in die Rechnung einfließen müssen. Dies gilt übrigens erst recht, wenn man an das Freihandelsabkommen TTIP denkt.
Welche Welt wollen wir? Den Bauern von nebenan mit seinen 60 Kühen, oder unpersönliche Großbetriebe, die man vielleicht am ehesten als "Milch-" beziehungsweise "Fleischfabriken" bezeichnen kann? Heckenlandschaften oder gigantische Monokulturen?
Der weinende Bauer aus der RTBF, das darf nicht der moderne Don Quichote sein, der nicht einsehen will, dass seine Welt nicht mehr existiert. Vielmehr sollte er uns endlich wachrütteln.
Roger Pint - Bild: Achim Nelles/BRF
Nana, und in Goé wird Milchpulver aus der Dritten Welt verarbeitet?
und noch einmal, ich habe vollstest Verständnis für die hiesigen Bauer nur man sollte vllt auch die andere Seite betrachten, den Kunden / Endverbraucher - es gibt doch recht viele die auf die so genannte BILLIGWARE aus dem Discounter angewiesen sind, die sich keine teure Milch, kein teures Stück Fleisch finanziell erlauben können. Man könnte annehmen man geht zurück in die 70er wo es nur einmal die Woche und das am Sonntag ein Stück Fleisch gab und vllt 1 x die Woche ein Stückchen Fisch. Unf für meine Wiedersacher, ich bin so aufgewachsen und das ist noch recht gut in Erinnerung und ich gehöre zu denen die sich eben keine teuren heimische Produkte leisten kann.
Faire Milsa Milch von Aldi im Handel. Auf der Packung ist folgendes zu lesen, "Conditionné en Allemagne à partir de lait d'origine belge par AF Deutschland GmbH, Wahlerstrasse 2 , D-40472 Düsseldorf". Was sagen die deutschen Bauern dazu? Müssten die es nicht ihren belgischen Kollegen gleich tun und auch da Mist abladen, Tankwagen leeren.... Der Verbraucher zahlt schon 10 Cent extra an die Bauern für diese Milch. Nee, nee liebe Bauern, man soll den Verbraucher bitte nicht für dumm verkaufen.
@Gehlen Elmar, auch so kann das Transportwesen Aufträge bekommen auf Verbraucherkosten bzw. wie schon erwähnt, den kl. "Mann" fuer dumm verkaufen.
Werte Anja, werter Elmar
Vor 80 Jahren gab der Verbraucher bei 100 Ausgaben (sei es Franke DM oder €..) 48% aus für Lebensmittel, heut sind dies nur mehr 8%. Vor diesem Hintergrdund kann man sicherlich auch gesellschaftlich- marktwirtschaftliche Überlegungen anstellen.
Herr Pint
Ein sehr guter Beitrag. Kompliment
Werter Herr Thelen,
das Verhältnis stimmt in etwa, nur ...... wie ist es mit all den Kosten, Steuern, Gebühren etc. die im Vergleich zu damals den Geldbeutel des Konsumenten belasten?
Und wie gesagt, der Verbraucher bezahlt bei Faire Bel schon 0,10 € pro Liter extra an die Bauern.
Auch ich als Kleinverdiener muss monatlich schon "kratzen" um über die Runden zu kommen und um meinen Verpflichtungen nachzukommen.
Werter Herr Thelen,
da kann ich Herrn Gehlen nur vollstens zustimmen und ua der Vergleich hinkt da ja wohl ganz gewaltig mit dem was vor 80 Jahren mal gewesen ist und heute und vor gut 80 Jahren - hm das war wohl so kurz vor dem Zweiten Weltkrieg und sorry da hab ich noch nicht gelebt, bin vllt ja schon so was wie "alt" aber dann doch noch nicht so alt ! Und anmerken möchte ich dann da wohl auch dass die Preise zu DM - Bfrs. - Gulden usw auch ganz anders waren wie heute und der Euro hat in vielerlei Hinsicht die Preise für ALLES ABER AUCH ALLES in die Höhe getrieben.
Werte Frau Wotschke,
Sie sagen der Euro hat die Preise für ALLES ABER AUCH ALLES in die Höhe getrieben.
Genau darum geht es sich ja, die Unkosten sind für uns Landwirte auch extrem nach oben gegangen nur für die MILCH BEKAMMEN 1981 31,7cent- 1989 36,8 Cent- 2001 37 Cent und jetzt 2015 BEKOMMEN WIR GENAU 28 cent/l 2013/14 war der Milchpreis bei 0,40 cent aber wir konnten uns gerade mal von der Krise 2009 27,5 Cent erholen. Also gebe ich ihnen recht alles aber auch alles ist teurer geworden auser unsere MILCH
Herr Pint
Ein sehr guter Beitrag
Der Fehler im System liegt in den zu großen Mengen Milch und Fleischprodukten auf dem Markt. Ohne angepasste Maßnahmen für ein geregeltes Angebot, das Bedarf und Nachfrage abdeckt, werden die Großkonzerne weiterhin den Reibach unter sich machen und sich ins Fäustchen lachen ohne Rücksicht auf Verluste.
Wenn die momentane Situation der Landwirte keine Kehrtwende zur Aufwertung ihres Berufes findet und ihr Job sich wieder als attraktiv erweist, sind nicht nur sie auf der Verliererstraße, sondern auch die Natur wird Schaden davon tragen.
Spätestens wenn der Endverbraucher wahrnimmt woher sein Essen kommt, stehen ihm genauso die Tränen in den Augen.
Sieben lange Arbeitstage, jede Woche, zwölf Monate im Jahr für eine nachhaltige Produktionskette haben doch wohl mehr Respekt verdient.
Nur ein gerechtes Preis-Leistungsverhältnis kann Abhilfe bringen.
Die Bauern brauchen jetzt zum Überleben ein stabiles motivierendes Gleichgewicht!
Meiner Meinung nach sollten die Bauern die Zeichen der Zeit wahrnehmen und die Tierhaltung aufgeben. Den Menschen wird immer mehr bewusst, dass tierische Produkte unnötig und ungesund sind. Außerdem eine immense Umweltverschmutzung verursachen und Hunger in der dritten Welt vergrößern! Vom Tierleid abgesehen...baut Gemüse und Obst an!
@ F.Burton
Aha.
Gibt es seriöse Studien zur Vergiftung durch tierische Produkte?
Nein. (bitte keine Peta/A.L.F./ etc. Pamphlete)
Wo kommen die bestäubenden Bienen her wenn diese "befreit" wurden und verendet sind?!
Wie/womit Düngt der ökologische Landbau?!
Wieviele Wälder müssten gerodet werden um alle Menschen flächendeckend bio und vegan zu ernähren?!
Auch der hochverarbeitete vegane Lifestyle-Kram wächst nicht in der Kühltheke.
Herr Bodarwé! Womit sollen denn die Babies ernährt werden, wenn nicht mit "tierischen Produkten"? Vielleicht mit einem Chemie-Präparat?