Es ist das Jahr fünf nach dem Ausbruch der Pandemie, 5 n.C. also. Denn wie oft war doch gesagt und geschrieben worden, dass das Coronavirus eine neue Epoche einläuten würde, dass es nur noch ein "vor" und "nach Corona" geben würde, dass das Virus unsere Lebensgewohnheiten umfassend, unerbittlich und unumkehrbar verändern würde.
Aber statt im Jahr 5 n.C. befinden wir uns im Jahr 2025. Die Lebensgewohnheiten der großen Mehrheit der Menschen haben sich meist nicht nennenswert verändert. Aus der Pandemie ist eine Endemie geworden. Das bedeutet, dass Corona zwar da ist, aber keine allzu große Gefahr mehr darstellt für einen Großteil der Bevölkerung. Hier und da finden sich noch Plakate und Hinweisschilder über Abstandhalten und die grundlegenden Hygieneregeln, verirrte und vergessene Alkoholgel-Spender, Mundschutzmasken im Abverkauf in Hunderterpacks. Aber das war's quasi schon an sichtbaren Erinnerungen im Alltag.
Auch diese Abwesenheit visueller Marker hat sicher geholfen, die Pandemie bei vielen langsam in Vergessenheit geraten zu lassen. Zumindest bei denjenigen, die selbst, im familiären Umfeld oder im Freundeskreis keine persönlichen Tragödien erlebt haben. Denn das Virus hat auch viele schmerzliche Lücken gerissen. Das ist etwas, was nie ganz verheilen wird bei den Betroffenen. Und es gibt natürlich auch diejenigen, die noch immer unter den gesundheitlichen Langzeitfolgen der Epidemie leiden.
Aber für die große Mehrheit der Bevölkerung scheint Corona eben doch ad acta gelegt worden zu sein. Aus einem Trauma ist ein Eintrag in den Geschichtsbüchern geworden. Verdrängung. Auch das ist eine normale Reaktion, wenn man etwas Schlimmes erlebt hat. Wobei man auch dazu sagen muss, dass die Tatsache, dass seit Corona eine globale Krise die nächste jagt, sicher auch geholfen hat bei dieser Verdrängung.
Aber leider wird mit dem Schlechten meist auch das Gute verdrängt. Zum Beispiel die Tatsache, zu welchen positiven Höchstleistungen Menschen kollektiv in der Lage sind, wenn es denn sein muss. Wie sehr Menschen zu Opfern und Entbehrungen bereit sind, auch wenn sie selbst nichts oder nur sehr wenig davon haben. Die Entdeckung, dass "Verantwortung" und "Solidarität" eben doch nicht nur leere Worthülsen sind für erstaunlich viele Menschen. Denn die Pandemie war in gewisser Weise auch ein Realitätscheck, eine Bestätigung, dass es um die Gesellschaft als Ganzes doch nicht so schlecht bestellt war, wie vor allem die sogenannten Sozialen Medien immer wieder glauben machen wollten.
Aber es war ein zweischneidiger Realitätscheck: Denn die Pandemie hat es auch unmöglich gemacht, zu ignorieren, wie schnell viele Menschen teilweise irreversibel aus dem seelischen Gleichgewicht gebracht werden können. Ganz zu schweigen von den Abgründen, die sich bei manchen Mitbürgern aufgetan haben, zum Beispiel in puncto Egoismus, Asozialität oder Profitgier. Aber es gibt das Sprichwort eben nicht umsonst, dass sich Charakter erst in der Krise beweist. Decken wir also am besten den Mantel des Schweigens über sie.
Über andere Menschen sollte man hingegen auf gar keinen Fall schweigen. Nämlich über all diejenigen, die schwere und schwerste Entscheidungen treffen mussten und das auch getan haben, über all diejenigen, die unsere Gesellschaft am Laufen gehalten haben, ganz egal, ob sie zu den sogenannten kleinen oder großen Zahnrädern gehört haben. Denn das ist ja das Prinzip von Zahnrädern: Unabhängig von der Größe sind sie notwendig, damit die Maschine läuft. All diesen Menschen kann, sollte und muss man immer wieder danken. Denn ohne sie würden wir heute vielleicht wirklich im Jahr 5 n.C. leben statt im Jahr 2025.
Boris Schmidt
Die Pandemie war gewiss eine schlimme Zeit, die trotzdem positive Konsequenzen hatte. Seitdem sind viele Politiker von ihrem hohen Ross herunter gestiegen und haben begriffen, dass die Gesellschaft ohne "Kleine Leute" nicht funktioniert, zum Beispiel Pflegepersonal, Ärzte, Polizisten, Handwerker... Es hat vielen geholfen, in die Realität zurück zu kommen raus aus ihren Luftschlössern.