Die gute Nachricht vorweg: Das Land hat endlich wieder eine Regierung! Und das ist wirklich nicht zynisch gemeint. Nicht vergessen: Bis vor gut einer Woche hätte wohl niemand sein Haus auf eine Einigung verwetten wollen. Zwar mochte es so aussehen, als gebe es für die Vertreter der fünf Parteien kein Zurück mehr. Ein Selbstläufer war das Ganze dafür aber nicht.
Wie wir heute wissen, wäre die Arizona-Koalition tatsächlich noch am Freitagnachmittag vergangener Woche, also ein paar Stunden vor Ablauf der Deadline, beinahe in der Luft explodiert. MR-Chef Georges-Louis Bouchez war anscheinend drauf und dran, den Verhandlungstisch zu verlassen. Dass das am Ende doch nicht passiert ist, das sei nur Maxime Prévot zu verdanken, der Bouchez nachgelaufen sei, um ihn dann in einem Vieraugengespräch wieder zu beruhigen.
Also: Das Land hat endlich wieder eine Regierung! Alles andere wäre wirklich eine Katastrophe gewesen. Es war und ist nämlich, wenn auch arithmetisch gesehen vielleicht nicht die einzige, aber doch die einzig logische Konstellation: eine Koalition der Wahlsieger aus beiden großen Sprachgruppen, die noch dazu große inhaltliche Schnittmengen aufweisen.
Wenn man am Ende selbst eine - für belgische Verhältnisse - vergleichsweise "einfache" Koalition nicht mehr hätte auf die Beine stellen können, dann wäre das wirklich ein Sargnagel für die Demokratie gewesen.
Zweite Feststellung: Wir sind nicht plötzlich in einem anderen Land aufgewacht. Das ist in diesen unruhigen Zeiten tatsächlich keine Selbstverständlichkeit mehr. Man denke nur an Donald Trump, der zusammen mit seinem Chefeinflüsterer Elon Musk gerade in den USA einen regelrechten administrativen Staatsstreich durchzieht. Sogar in den meisten unserer Nachbarländer bröckeln schon die Brandmauern, oder sie sind bereits gefallen.
Gemessen daran geht es hierzulande fast schon wieder beruhigend gesittet zu. Und auch das eigentliche Regierungsabkommen ist auf den ersten Blick immer noch irgendwie ein belgisches. In dem Sinne, dass man auch hier nicht behaupten kann, dass es einen wirklich krassen Bruch mit der Vergangenheit darstellt.
Zugegeben: Diese Feststellung gilt im Wesentlichen ab einer gewissen Einkommensklasse. Für Menschen, die aus gleichwelchen Gründen gerade nicht im Arbeitsleben sind, kann es mitunter sehr ungemütlich werden. Die neue Regierung hat sich entschieden, vor allem auf dem Rücken der Leistungsempfänger zu sparen, und dabei die stärksten Schultern weitgehend zu verschonen. Selbst Beobachter, die bislang nicht als rote Revoluzzer aufgefallen wären, bezeichneten einige der Arizona-Pläne als flagrant unsozial. Die tatsächlichen Auswirkungen sind bislang noch nicht wirklich absehbar. Hier ist das letzte Wort wohl noch nicht gesprochen.
Aber auch ohne die wirkliche Tragweite genau zu kennen, hat die sozialistische Gewerkschaft FGTB jedenfalls schonmal zum Generalstreik aufgerufen. Das sei der Auftakt eines "Marathons des Widerstands", der die ganze Legislaturperiode andauern werde, hieß es. Auf Französisch klingt das noch viel eindringlicher: "Résistance", als müsse man hier einen illegitimen Besatzer bekämpfen.
Genau das ist der Punkt: Es gibt Wahlen in diesem Land. Und die fünf Arizona-Parteien sind daraus allesamt als Gewinner hervorgegangen. In Flandern haben rund sieben von zehn Wählern für Parteien aus dem rechten Spektrum gestimmt. Im südlichen Landesteil haben MR und Les Engagés eindeutig die Wahl gewonnen. Dem einen oder der anderen mag das Ergebnis nicht gefallen, aber so funktioniert nunmal Demokratie. Und so sehr der Soziale Dialog auch in Ehren gehalten werden muss: Bei der FGTB scheint man schonmal zu vergessen, dass man eben kein Staat im Staat ist.
Was die FGTB so auf die Palme zu bringen scheint, das ist wohl die dritte Feststellung: dass das Regierungsabkommen zwar immer noch ein irgendwie belgisches ist, aber eben irgendwie auch nicht. Die Arizona-Parteien scheinen sich doch vorgenommen zu haben, verkrustete Strukturen aufzubrechen. Und das ist längst überfällig. Viel zu lange sind vorhersehbare Probleme einfach liegen geblieben. Das Resultat ist jetzt ein Rentensystem, das uns buchstäblich über den Kopf wächst, um nur das mit Abstand wichtigste Beispiel zu nennen. Jetzt scheint jedenfalls die Ambition da zu sein, das Land endlich zukunftsfähig zu machen.
Der Wille allein reicht allerdings nicht, wie es die Vergangenheit allzu oft gezeigt hat. Die fünf Parteien müssen jetzt auch auf Kurs bleiben. Als das größte Problem könnten sich da die - wie der Flame sagt - "Rückzahlungseffekte" erweisen. Kritiker sagen, dass die Koalition die Mehreinnahmen und Minderausgaben, die man sich aus einigen Sparmaßnahmen oder Reformen erhofft, konsequent zu hoch eingeschätzt habe. Es ist also denkbar, dass man sehr schnell vom gesteckten Fahrplan abweichen wird. Jede Haushaltskontrolle kann dann zur Zerreißprobe werden. Eine Koalition, die schon fast acht Monate für ihr Regierungsabkommen gebraucht hat, die steht da vielleicht nicht unter dem besten Stern.
Hier kommt der Premier ins Spiel. Bart De Wever hat zumindest äußerlich doch eine erstaunliche Wandlung durchgemacht. Vor 20 Jahren war er noch der junge, ungestüme Nationalist, der mit einem LKW voller Falschgeld in die Wallonie fuhr, um die Geldtransfers zwischen dem Norden und dem Süden anzuprangern. Dass dieser Mann, dem man früher einen fast schon genetisch bedingten Hass auf Belgien nachsagte, und der sich gerade im Süden des Landes so viele Feinde gemacht hat, am Ende Premier dieses Landes wird, das hätte er wohl selbst kaum für möglich gehalten.
Für viele Frankophone ist De Wever immer noch der Teufel in Person. Doch wäre man gut beraten, hier den Reset-Knopf zu drücken. Erstens: Es ist jetzt nunmal, wie es ist, und Vorurteile, mögen sie auch noch so gerechtfertigt erscheinen, lenken letztlich nur von den Inhalten ab. Zweitens: De Wever hat das "belgische Spiel" bislang demonstrativ und mustergültig mitgespielt. Einen Vorwurf kann man ihm nicht machen. Im Gegenteil: Er hätte sogar die Gelegenheit gehabt, die Verhandlungen zu nutzen, um Chaos zu stiften. Das wäre vielleicht sogar einfacher gewesen, denn indem er als Premier in den belgischen Ring steigt, geht er auch politisch ein doch erhebliches Risiko ein.
Er und seine Arizona-Kollegen verdienen denn auch eine faire Chance. Man sollte diese Regierung nur an ihren Taten messen. Um es mal in der Sprache des von De Wever so geschätzten Julius Caesar zu sagen: "In dubio pro reo", im Zweifel für den Beschuldigten.
Roger Pint
De Wever ist am besten zu beschreiben als ein Wolf im Schafsfell. KEINE seiner Prinzipien hat er über Bord geworfen, aber je bekannter er ist, je mehr er die Weichen jetzt in seine Richtung setzen kann, je einfacher hat er es später. Ich bin auch sehr, sehr enttäuscht von unserem König, dass er so lange an dieser Figur festgehalten hat, das gab es noch nie. Hätte es da wirklich keine andere Person einer nach Belgien ausgerichteten Partei gegeben? Es ist ja nicht DeWever alleine, der jetzt Chaos schaffen kann, er hat ja verschiedene Minister (Jan Jambon, Theo Francken, Anneleen VanBossuyt), die ordentlich und noch direkter dazwischengrätschen. Das einzige, was man sagen kann, es passt genau in die heutige Zeit, wo inzwischen ein Großteil der Europäer (neben USA) von rechts aussen regiert wird. Mann Ich bin froh, dass ich nicht mehr so lange leben muss um mir dieses Elend anzusehen.
Ich kann Frau van Straelen leider wirklich nur Recht geben.
Werte Frau Van Straelen.
Ich bin froh, dass endlich mal einer kommt, der probiert das Ruder herum zu reißen.Verschiedenes ist einfach nicht normal.Das sind die immer höheren Steuern und Staatsschulden, eine immer größer werdende Bürokratie, eine politische Kultur bei der Akademiker bevorzugt werden, eine ungeklärte Einwanderungsfrage, zu viele politische Parteien, etc. Der viel besagte Rechtsruck ist eine demokratische Reaktion auf diese Missstände. Etwas ganz normales. Was soll daran schlimm sein ?
ja, dann fangen wir doch mal 'von hinten' an, Herr Scholzen. "zu viele politische Parteien": genau diese Parteien sind doch HINZUgekommen, NVA und VLaams Blok" (belang ist eine Irreführung) eine braune Soße, braucht kein Mensch, also schonmal 2 mehr, nicht weniger. Generiert auch mehr Steuern/Schulden. Und wenn sie meinen, De Wever hätte was für kleine Leute übrig, das sind alles nur Akademiker (Uni Antwerpen/KU Leuven/VUB), die da dran sind, wieder Pech. Rechtsruck ist nicht demokratisch sondern dämagogisch durch massenhafte falsche Beinflussung der politisch nicht interessierten Bevölkerung. Übrigens, in Flandern, wo ich mein ganzes Berufsleben zubrachte, habe ich MEHR Steuern bezahlt als jetzt in der Wallonie. (z.B. TV-Steuer, und direkte Provinzsteuer der Provinz Antwerpen (hier gibt es das nicht, dafür regelmäßig und ganz umsonst eine interessante Broschüre, die über die Aktivitäten der Provinz Lüttich aufklärt..). Viel Spass also beim weniger Steuern zahlen.... wer weniger arbeitet erhält auch jetzt schon weniger Rente.
In der politischen Küche kommt nun zur Abwechslung mal "braune Soße" auf den Tisch, von dem ganzen Grünzeug der vergangenen Jahre wurde mit schon schlecht.
Die traditionellen politischen Parteien haben bei der Problemlösung versagt. Deswegen kommen die extremen...
welche Problemlösung schwebt Ihnen denn vor, Herr Scholzen. Ein bisschen plakativ Ihr Kommentar. Ich kenne nicht viel Länder, wo man im Schnitt und in der Mehrheit so comfortabel leben kann wie in Belgien (Krankensystem, Schulsystem, Arbeitsmarkt und auch Rente, basierend, wie ich bereits sagte, schon immer auf der Anzahl Erwerbsjahre), haben sie konkrete Fälle, wo irgendeine Lösung total versagt hätte? Wäre mal interessant zu hören anstelle von dumpfen Parolen. Das Flüchlings"problem" ist ein weltweites Problem, vor dem schon im Club of Rome gewarnt wurde, falls wir hier im Norden immer über unsere Verhältnisse leben, was wir tun.