Teambuilding. Eine Zeitlang war es hochgradig angesagt, dass ganze Abteilungen großer Unternehmen zusammen irgendwas Spektakuläres unternehmen mussten: schwindelerregende Kletteraktionen, den gemeinsamen Bau eines Floßes oder einer Seifenkiste, im schlimmsten Fall ein Überlebenstraining mit Dschungelcamp-Charakter.
Sinn und Zweck des Ganzen ist es natürlich, das "Wir-Gefühl" zu stärken. Blendet man mal das "Wie" aus, das wirklich manchmal skurrile Ausmaße annehmen kann, prinzipiell ist das bestimmt eine gute Idee. Gemeinsam etwas zu schaffen oder seine Ängste zu überwinden, das schweißt zweifelsohne zusammen. Die Reibereien auf dem Weg dahin, die sind natürlich gewollt und sollen dazu dienen, die Kommunikation innerhalb der Gruppe zu verbessern.
Klingt doch genau nach der Therapie, die die Arizona-Parteien jetzt bitter nötig hätten. Denn die scheinen sich gerade wieder den Luxus erlauben zu wollen, eine weitere Ehrenrunde zu drehen.
Wobei: Wenn man sich mal in die Lage der verschiedenen Protagonisten versetzt, so sind gewisse Reaktionen durchaus nachvollziehbar. Vooruit etwa ist in einer wenig beneidenswerten Situation: Die flämischen Sozialisten sind die einzige links gerichtete Partei in einem - mal mehr, mal weniger - rechten Ozean. Und wer glaubt, Vooruit verhalte sich wie eine billig aufgebrezelte Dorf-Diva und boxe definitiv über seiner Gewichtsklasse, der darf nicht vergessen, dass die Partei hier in erster Linie ihrer eigenen Basis gegenüber hoch pokert. Kurz und knapp: Wenn Vooruit-Chef Conner Rousseau den Wirtschaftsliberalen von MR und N-VA einen Blankoscheck geben und alles unterschreiben würde, was man ihm vorlegt, dann müsste sich seine Partei gar nicht mehr die Mühe machen, bei der nächsten Wahl überhaupt noch anzutreten.
Auf der anderen Seite ist es natürlich auch verständlich, dass N-VA und MR die Gunst der Stunde nutzen wollen, um möglichst viele alte Zöpfe abzuschneiden und wirklich mal mit dem eisernen Besen durch alle Zimmer zu gehen. Ihre Motivation in Ehren, aber der rechte Arizona-Flügel muss wissen, dass er dafür den linken braucht. Im Klartext: Vooruit, und in nur etwas geringerem Maße auch Les Engagés, wollen respektiert werden.
Zugegeben: Aus Sicht eben von MR und N-VA mag sich das wie ein Fegefeuer anfühlen. Man muss sich aber seiner Optionen bewusst sein. Missachtet man die Juniorpartner allzu sehr, dann könnten die nämlich den Stecker ziehen, das gilt insbesondere für Vooruit. Und dann droht - immer noch aus Sicht von MR und N-VA - nach dem Fegefeuer die reine Hölle, mit Namen: eine Rückkehr der frankophonen PS. Vielleicht ist es ja auch eben dieses Szenario, das Vooruit tatsächlich anstrebt, wobei man das nachdrücklich dementiert und die PS nach eigener Darstellung ohnehin nach wie vor die Oppositionsbank vorzieht.
Wie dem auch sei, insgesamt muss man sagen: Alle haben sie was zu verlieren, die einen mehr, die anderen weniger. Die rechte Seite, weil sie den Beweis erbringen will, dass sie den Staat tatsächlich besser und effizienter managen kann als insbesondere die PS. Für Vooruit ist aber das Risiko höher, weil die Partei Gefahr läuft, in den Augen ihrer Wählerschaft ihre Seele zu verkaufen.
In einer solchen Situation hilft nur eins: gegenseitiges Vertrauen. Und hier liegt allem Anschein nach die Crux. Konkret: Wenn Vooruit sich so ziert, dann weil die flämischen Sozialisten Angst haben, über den Tisch gezogen zu werden, insbesondere von denen am gegenüberliegenden Ende. Und das Vertrauen ist in den letzten Tagen eher noch kleiner geworden.
Womit wir wieder beim Teambuilding wären. Wenn vor allem MR und N-VA wohl noch lernen müssen, die Kleineren zu respektieren, so muss Vooruit seine buchstäbliche Schwellenangst überwinden und den Sprung wagen. Denn erst dann kann wirkliches Vertrauen entstehen. In diesem Punkt muss man MR-Chef Georges-Louis Bouchez Recht geben: Man kann nicht ewig auf eine Supernote warten, die am Ende allen gefällt, dann braucht man ja keine Verhandlungen mehr.
Besser wäre es, wenn man sich jetzt mit allen Textbausteinen zurückzieht und eben das tut: darüber verhandeln. Wie früher, nach der Château-Methode: Eine Klausur in einem Schloss, Val Duchesse zum Beispiel, wo Jean-Luc Dehaene seine Regierungsabkommen gezimmert hat. Zugegeben: Seit dem glücklosen Yves Leterme scheint ein Fluch über Schloss Val Duchesse zu hängen. Aber vielleicht macht gerade das ja aus dem Ganzen erst recht eine Teambuilding-Maßnahme.
Nicht vergessen: Die fünf Parteichefs müssen schließlich nicht auf dem Dach herumturnen und auch nicht im Schlossgarten unter freiem Himmel schlafen. Sie müssen "nur" ein gemeinsames Projekt ausarbeiten im Sinne des Landes und seiner Bürger. Und das möglichst schnell, denn der internationale Druck wird immer größer. Inzwischen drohen wirklich ernste Konsequenzen.
Und wenn es auch zuweilen scheppert, das gehört dazu, auch das schafft paradoxerweise Vertrauen, frei nach dem Motto: Zusammen raufen, um sich am Ende zusammenzuraufen.
Roger Pint
Das ewige belgische Problem, nämlich zuviele politische Parteien. Zwei politische Parteien wie in den USA sind genug. Die USA sind dadurch zur Weltmacht geworden. Für mich praktischer Beweis genug.
Guten Morgen, Herr Pint !
Auch wenn ich hier kaum mehr zu Gast bin - aus verständlichen Gründen, denn wer will schon Kommentare schreiben, die eh keiner liest - so will ich hier für Sie eine Ausnahme machen.
Wie oft in Ihren Kommentaren haben Sie die politische Lage zutreffend beschrieben.
Wer seine seine Muttersprache liebt, muss mit Entsetzen feststellen, dass sie immer mehr entstellt wird, durch unnötige Anglizismen, durch wildes Gendern, von jedem(r) nach seinem/ihrem Gusto gebraucht, durch grammatikalische Freiheiten ("Der Genitiv ist dem Akkusativ sein Tod", so ein bezeichnender Buchtitel), durch die "Binde-Strichitis" und durch die verschiedenen Rechtschreibreformen (Jeder schreibt jetzt, wie er meint, dass es richtig sei).
Selbst bei sprachlich so korrekten Sendungen wie der Tagesschau oder Heute hapert es da.
Deshalb habe ich bei Ihrem Titel "Zusammen gerauft" erst mal gestutzt. Was ist das denn?
Bis ich auf die Schlusspointe stieß: "Zusammen raufen, um sich am Ende zusammenzuraufen."
Herr Schleck.
Sprache ist immer Ausdruck ihrer Zeit. Ändert sich ständig. Nehmen Sie doch bitte mal zum Beispiel "Pole Poppenspäler" (1874) von Theodor Storm oder das Nibelungenlied (13. Jahrhundert) und vergleichen Sie diese deutsche Sprache mit der heutigen. Da werden Sie große Unterschiede feststellen. So würde sich kein Mensch mehr heutzutage ausdrücken.
Sie beklagen Anglizismen. Ist eine Konsequenz der weltweiten Vorherrschaft der englischen Sprache. Das war nicht immer so. Vor 200 Jahren war die französische Sprache führend. Da "parlierten" die Menschen miteinander.
Aha, es liest also doch wenigstens einer die Kommentare hier, der Herr Marcel Scholzen.
Selbstverständlich ändert die Sprache sich, das ist eine Binsenweisheit.
Die von mir angesprochenen Auswüchse verunstalten das Erscheinungsbild unserer Muttersprache aber derart, dass man beim Lesen Bauchschmerzen bekommt.
Ohne Wörterbuch Englisch-Deutsch ist der normale Mensch doch wirklich oft aufgeschmissen.
Das willkürliche Gendern verändert den Lesefluss. Willkürliche Anwendung von Grammatik- und Rechtschreibregeln tun das Gleiche.
Außerdem ist das alles ein Hindernis beim Erlernen der deutschen Sprache durch Fremdsprachige, ausser, wenn es Englischsprachige sind. In manchen Texten ist doch fast jedes zweite Wort aus dem Englischen entlehnt. Ich stelle das ganz konkret fest, da ich meinen französischsprachigen Enkeln Deutschunterricht gebe.
Selbst vielen Deutschsprachigen ohne höhere Schulbildung dürfte das zu schwer fallen. Warum sonst würden sonst Texte in "einfaches Deutsch" "übersetzt"?
Siehe "Einfache Sprache" bei Wikipedia.
Dass die Elite, der Adel und die "Bourgeoisie", früher auf Französisch "parlierten", ändert nichts daran.