Das politische Leben steckt voller Allgemeinplätze, wie etwa diesem: Es kommt auf jede Stimme an. "Quod erat demonstrandum" würde der latinophile Lontzener Bürgermeister Patrick Thevissen sagen: Tatsächlich fehlte seiner Liste "Energie" eine einzige Wählerstimme zur absoluten Mehrheit. An so seidenem Faden hängt es selten - obschon: in Verviers, wo die Kartellliste "Ensemble" bei der Mehrheitsbildung federführend ist, entscheiden wohl zwei Vorzugsstimmen über den künftigen Bürgermeister.
Noch ein Allgemeinplatz: Köpfe statt Programme! Auf keine politische Ebene trifft das so zu wie auf die Gemeinde. In mehrfacher Hinsicht: Natürlich profitieren die Kandidaten von ihrem Bekanntheitsgrad, von einem möglichen Amtsbonus, von ihrer Position auf der Liste und von ihrer Beliebtheit in ihrem sozialen Umfeld. Gewählt werden aber vor allem diejenigen, denen Verantwortung zugetraut wird, man könnte sagen: Führungskräfte. Ja, die Leute wollen befragt und gehört werden, wenn es sie direkt angeht: aber die Gewählten werden gewählt, damit sie ausgewogene, durchdachte und auch mutige Entscheidungen im Sinne der Allgemeinheit treffen. Gute Köpfe eben.
Nach der Wahl ist vor der Wahl: Dieser Allgemeinplatz wird nun wirklich bei jeder Gelegenheit bemüht, ob als Zeichen der Demut des Siegers oder als Kampfansage des Verlierers. Die Politik ist voller Geschichten um taktische Absprachen, um Wortbrüche oder späte Abrechnungen. Wegen ihrer Vorgeschichte ist das in jeder Gemeinde anders gelagert - abhängig von Personen und Erfahrungen. Das gilt für Ostbelgien wie fürs ganze Land.
Die kommunal gut verankerte CSP musste in Kelmis, St. Vith und Büllingen zwar Schlappen hinnehmen, kompensierte das aber unter anderem mit den Wahlsiegen in Eupen und in Raeren. PFF-(nahe) Listen konnten in St. Vith und Büllingen triumphieren, wurden in Eupen oder Raeren aber "geerdet". Die SP musste sich, wo sie als offene Bürgerliste auftrat, mit leichten Verlusten bescheiden (außer als Newcomer in Raeren). Und Ecolo musste den im Juni gereichten Kelch bis zur Neige austrinken - auch wenn die Bürgermeisterinnenliste in Eupen ihre Sitze halten konnte, was wie ein Punktgewinn gefeiert wurde. So weit, so unterschiedlich.
Und sonst? Vivant blieb trotz verheißungsvoller Ankündigung im Juni den Kommunalwahlen fern … und ProDG … behauptet das von sich, fast so, als ob es sich um eine Art von Grenzüberschreitung handeln würde. Dabei haben sich ProDG-Mitglieder in aussichtsreiche Positionen gebracht wie noch nie und ihre Ziele auch erreicht. Das darf man ruhig eingestehen, so geziemt es sich für eine Volkspartei. Ihr Erfolgsrezept einer "freien (oder offenen) Bürgerliste" spricht heutzutage sowieso am ehesten die Wähler an: das weiß man in der Eifel schon lange und diese Einsicht setzt sich gerade auch im Norden der DG durch.
Warum also sein Licht unter den Scheffel stellen? Damit es nicht zu sehr ausleuchtet, was hinter dem Vorhang geschieht? Man soll das Fell des Bären nicht verteilen, bevor man ihn erlegt hat, erklärte der Reuländer Einzelkandidat Rudy Lallemand die eigene Zurückhaltung im Wahlkampf. Mit Blick auf die Wahlsieger in einigen Gemeinden möchte ich hinzufügen, dass es genauso unschicklich wäre, jemandem einen Bären aufzubinden.
Stephan Pesch