An der gedeckten Tafel sitzt in der Mitte eine Frau, die rechte Hand auf dem Tisch, die linke Handfläche nach oben gedreht - so wie Jesus im Wandgemälde von Leonardo da Vinci. Um sie herum, angeordnet wie die zwölf Apostel bei da Vinci, sehen wir Frauen unterschiedlichen Alters, unterschiedlicher Hautfarbe und Herkunft - für die Künstlerin Susan Dorothea White stehen sie für die gewachsene Vielfalt der australischen Gesellschaft, die zentrale Figur steht ihrerseits für die indigenen Völker, die Aborigines.
Das Bild trägt den Titel "The First Supper", also: "Das erste Abendmahl". Die Künstlerin wollte es dem Bildnis der 13 Männer entgegensetzen als dem Symbol einer patriarchalischen Gesellschaft und Religion. Wie Susan Dorothea White haben sich andere Künstler (aus vorrangig ästhetischen Erwägungen) an "Das letzte Abendmahl" herangewagt, darunter Salvador Dalí oder Andy Warhol.
Der französische Theaterregisseur Thomas Jolly war nicht darunter. Allen Unkenrufen zum Trotz. Die etwas lange Eröffnungszeremonie war kaum zu Ende, da beschwerten sich die französischen Bischöfe und französische Rechtsextremisten über das in ihren Augen unwürdige Spektakel, mit dem das Christentum verspottet worden sei: durch eine emblematische Madame in der Mitte des Tableaus, eingerahmt von Drag Queens anstelle der Apostel. Dass schon deren Zahl nicht biblischen Maßstäben genügte, konnte in der Aufregung schnell untergehen.
Der später ins Bild drapierte Dyonisos hätte die Kirchenoberen und die selbsterklärten Kulturbewahrer vielleicht darauf bringen können, dass ein anderes Vorbild Modell gestanden haben könnte: "Das Festmahl der Götter" … im Olymp! Das hatten nur Kunstkenner auf dem Schirm - das Museum in Dijon, wo das Original ausgestellt wird, freut sich über das plötzliche Interesse und die Gratiswerbung.
Überschrieben war dieser Abschnitt der Show übrigens mit dem Schlagwort "festivité" - so wie andere mit "égalité" oder "diversité".
Wie auch immer die Feier interpretiert wurde: eine Botschaft der Vielfalt und der Toleranz sollte es sein. Damit hätten die Christen es eh nicht so, konstatierte der französische Aufklärer Voltaire in seiner Streitschrift über die Toleranz. Voraussetzung dafür sei Selbstkritik - und Gelassenheit. Es geht nicht immer gleich um den Untergang des Abendlandes! Auch nicht beim letzten Abendmahl.
Die australische Künstlerin Susan Dorothea White hat sich noch bei einem anderen Werk am kirchlichen Kanon bedient: Statt der "sieben Todsünden" (zu denen Zorn und Hochmut gehören) listet sie eine Reihe von verwerflichen -ismen auf: Rassismus und Sexismus gehören genau so dazu wie Dogmatismus. Ein weiteres Anschauungsbeispiel für die empörten Kritikaster.
Stephan Pesch
Ist hier der vollkommen Legitime Wunsch nach Vielfalt statt Rassismus dem Schnellen Kommerz zum Opfer gefallen?
Ich weiß nicht ob diese Akteure wie z.B. Barbara Butch in der Mitte wirklich wussten vor was für einen Karren sie sich gegen Dickes Geld spannen lassen.
Ähnlich wie die krachend gescheiterte "EM ohne Deutschland in Deutschland" war diese Art der Olympia-Premiere absolut das Superdesaster.
Ob auch politische oder Antichristliche Triebe mit im Spiel waren, werden wir vermutlich nie erfahren. Doch die Erinnerung an diesen "Schwachsinn des Westens" wird nicht so schnell verblassen.
Herr Drescher, Philippe Katerine, der Darsteller des in blau getunkten Gotte Dionysos, hat eigener Aussage zufolge 200 € für sein Mitwirken erhalten. So viel zum Thema "Das große Geld".
Und ich denke, wenn die Macher der Zeremonie erklären, was sie interpretieren und darstellen wollen, kann man ihnen auch einfach glauben, dass eben keine "antichristlichen Triebe" am Werk waren.
Bravo und Danke für diesen Kommentar, Stephan Pesch!
Kunst ist eben frei. Das müssen auch die Herrschaften der betenden Zunft akzeptieren. Haben die keine anderen Probleme?
Herr Pesch!
Vielen Dank für die Aufklärung. Super interessant. Ich bin neugierig geworden, habe die Künstlerin direkt mal gegoogelt.
Hervorragender Kommentar.
"Das müssen auch die Herrschaften der betenden Zunft akzeptieren."
Deswegen schreibe ich ja dass wir nichts genaueres wissen. Blamables Superdesaster bleibts dennoch. Für ein gutes Techno-Liveset hat auch ein wirklich kommerzieller Musikproduzent wie Barbara und Künstler aus ihrer Clique viele andere Gelegenheiten ohne "Schlechten Western" oder ein dummes Politikum gegen wen auch immer.
Das Ganze fällt unter die Rubrik "künstlerische Freiheit". Es ist wie moderne Kunst eben ist: Keiner wird gezwungen, diesen Kram als gute Kunst zu empfinden, noch nicht. 😉
Man sollte nicht vergessen, dass es die Rennaissance-Künstler (wie daVinci u.a.) waren, die im 16. Jahrhundert den nackten menschlichen Kôrper in den Kirchen Italiens "populär" machten. In Nordeuropa hingegen, wo die protestantische Prüderie mit Bilderstürmern (Ikonoklasmus) um sich griff, empörten sich viele Reformatoren über die Nackedei-Darstellungen im katholischen Süden. Die Protestanten äusserten Bedenken über "Dekadenz und Sittenverfall".
Aber zurück zur Gegenwart: mit dem Christentum kann man es ja machen. Wäre mit islamischen Darstellungen so umgegangen worden, wären nachfolgende Sportveranstaltungen wegen Bombendrohungen abgesagt worden.
Aber wie wäre eine Final-Show mit Moses oder Mohamed als Drag-Queen?
Mal sehen...
@Leonard: Da sind wir endlich mal einer Meinung. Es geschehen noch Wunder. Gott sei dank.
"mit dem Christentum kann man es ja machen. Wäre mit islamischen Darstellungen so umgegangen worden, wären nachfolgende Sportveranstaltungen wegen Bombendrohungen abgesagt worden.
Aber wie wäre eine Final-Show mit Moses oder Mohamed als Drag-Queen?
Mal sehen..."
Genau der Gedanke hat mich ebenfalls direkt auf den Punkt gebracht.
Der Elefant im Raum ist die Frage: was hat das alles mit Olympia zu tun? Pierre de Coubertin wollte dies 1894 dem „Treffen der Jugend der Welt“ und damit der Völkerverständigung widmen. Paris hat 2024 das Thema verfehlt in eine künstlerische Veranstaltung verwandeln. Die ehemalige deutsche „Avantgarde-Künstlerin“ Leni Riefenstahl wäre begeistert gewesen…
Reaktionäres Beleidigtsein gehört offensichtlich seit 2000 Jahren zur DNA der katholischen Kirche.
Was bei der Diskussion auffällt ist, dass ihre empörte Reaktion das gleiche Muster und die gleiche Motivation aufweist, wie die Entrüstung von Muslimen, wenn Ihr Prophet dargestellt oder vermeintlich verunglimpft wird.
Die Folgen davon sind unterschiedlich…
Bei christlichen Glaubenshütern führt dies zu Schaum vor dem Mund (ehemals auf die Folterbänke der Inquisition), bei muslimischen Kollegen zu einer Fatwa (Salman Rushdie lässt grüßen) oder zu… Charlie Hebdo.
Wenn Glaubenshüter welcher Konfession auch immer zwanghaft nach Gründen suchen, sich zu entrüsten oder Messer, Säbel und Gewehre zu zücken, kann dieser Glaube weder… gesund noch gefestigt sein. Oder das Fundament der jeweiligen Religion ist derart bröselig, dass es bei der kleinsten Erschütterung einzustürzen droht.
Statt sich über Kunst oder Satire zu entrüsten, wie wäre es damit, in Scham über ihre angeblich göttlich offenbarten Schriften zu versinken, die als Grundlage für Intoleranz, Gewalt und Hass dienen?
Ein Renaissance Papst mit unzähligen Geliebten und regelmäßigen Orgien hätte wahrscheinlich nichts einzuwenden gegen diese Eröffnungszeremonie... Das waren Päpste, die ganz Menschen waren voller Lebensfreude.
Und wieder mal werden Olympische Spiele im Sinne der jeweiligen Herrschenden missbraucht. Die herrschende Meinung ist immer die Meinung der Herrschenden. Ich schaue mir diesen asozialen Leistungswahnsinn nicht an. Mich wundert es, dass es noch keine Medaillen für „Ärzte“ und Laboratorien gibt. Ein passant.