Je nachdem in welcher Ecke der Welt man geboren wird oder lebt, kann die "falsche" Geschlechtsidentität oder sexuelle Orientierung schon bedeuten, dass man sich sein ganzes Leben lang verstellen muss. Andernfalls riskiert man Misshandlungen, Folter oder sogar den Tod. Die Täter können aufgebrachte Lynchmobs sein, Nachbarn oder sogar Angehörige der eigenen Familie. Oder in vielen Fällen der Staat selbst.
In Europa ist die Situation glücklicherweise ganz anders. Belgien schafft es in verschiedenen Rankings sogar ganz an die Spitze, was die Lebenssituation von LGBTQ+-Menschen angeht. Aber leider bedeutet das nicht, dass diese Menschen hier vollkommen unbesorgt leben können.
Sicher, rein gesetzlich betrachtet genießen sie hier so viele Rechte und Schutz wie wohl nirgendwo sonst. Aber wie so oft können Theorie und Praxis doch erheblich voneinander abweichen.
Nehmen wir als Beispiel Antwerpen, wo die LGBTQ+-Gemeinschaft schon gestern mit einer riesigen Regenbogenflagge durch die Straßen gezogen ist. Antwerpen ist bekanntermaßen eine ausgesprochen kosmopolitische und tolerante Stadt: Aber trotzdem gab es neben Applaus für den Zug auch viele lautstarke Buhrufe und andere heftige negative Reaktionen, darunter auch übelste homophobe Beschimpfungen.
Anderes Beispiel: In Brüssel findet gerade eine Tagung von bekennenden LGBTQ+-Polizisten statt, besser bekannt unter der Bezeichnung "Rainbow Cops". Deren Co-Vorsitzende hat im Zusammenhang mit dem morgen stattfindenden großen Brussels Pride-Marsch öffentlich davor gewarnt, sich in Anwesenheit bestimmter Personen oder in einigen Gegenden "zu" offen zu zeigen. Den Begriff "No-Go-Area" hat sie zwar tunlichst vermieden, aber die Botschaft war trotzdem unmissverständlich.
Das sind nur zwei Zufallsbeispiele der letzten Tage, die aber ein grundlegendes Problem illustrieren: Für bestimmte Personen ist die bloße Existenz der LGBTQ+-Gemeinschaft offenbar so ein rotes Tuch, dass sie es als vollkommen legitim betrachten, zum Beispiel Regenbogenflaggen anzuzünden oder zu zerschneiden – oder noch schlimmer, auf Menschen loszugehen, die auch nur irgendwie nach LGBTQ+ aussehen könnten.
Dabei kommt es auch immer wieder zu körperlichen Angriffen. Aber das Aggressionsspektrum ist natürlich viel größer: Bespucken, Berauben, Beleidigen, Belästigen, herabwürdigende Witze, demonstratives Filmen der Handlungen, um sich für die "Heldentat" im Internet feiern zu lassen, Mobbing in der Schule oder Uni, im Sportclub oder wo auch immer.
Diskriminierung aufgrund von sexueller Orientierung oder Geschlechtsidentität ist und bleibt ein großes Problem. Mehr noch: Es ist ein Problem, das größer wird, sicher nicht zuletzt – mal wieder – auch dank der sogenannten Sozialen Medien. Das belegen beispielsweise neue Zahlen der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte.
Und das ist nicht nur ein Problem für direkt Betroffene, sondern für die gesamte demokratische Gesellschaft. Denn Extremisten und dem Mob auch nur einen kleinen Sieg zu gönnen, das öffnet Tür und Tor für weitere Entgleisungen. Und wohin das führen kann, das hat die Geschichte ja oft genug gezeigt. In dem Sinne ist der Aktionstag gegen Homo-, Bi-, Inter- und Transphobie wichtiger denn je – egal ob man sich nun selbst zur LGBTQ+-Gemeinschaft zählt oder nicht.
Boris Schmidt
Guter Kommentar.
Es zeigt sich mal wieder, dass man nicht jedes Problem mit Gesetzen lösen kann.Einstellungen, Vorlieben kann man nicht verordnen.Tun wir unser Möglichstes, damit LGBTQ+-Menschen hierzulande in Frieden leben können.Toleranz ist nicht so kompliziert.
Ein ganz andere Sache sind fremde Kulturen, Staaten mit vollkommen anderen Moralvorstellungen.Da sollte man sich heraus halten.Es wäre Kolonialismus, denen vorzuschreiben, LGBTQ+-Menschen nach westlichem Muster zu behandeln.
Selbstverständlich ist es angebracht, nicht zuletzt auch vor dem Hintergrund universeller Menschenrechte, sich auch für die Situation von LGBTQ+ Menschen in anderen Ländern und Kulturen zu interessieren und sich für deren Rechte einzusetzen.
Dies hat mit Kolonialismus nicht das Geringste zu tun, sondern mit der Feststellung, dass ALLE “Menschen frei und gleich an Rechten und Würde geboren sind”, ungeachtet ihrer “Rasse, Hautfarbe, Geschlecht, Sprache, Religion, politischer oder sonstiger Anschauung, nationaler oder sozialer Herkunft…“
Interessant wäre es gewesen, noch einmal auf die Ursachen und Geschichte von Homo- und sonstigen sexuell begründeten Phobien einzugehen. Hier spielen die abrahamitischen Religionen, ihre Texte (Thora, Bibel und Koran), Traditionen und ihre Institutionen und Glaubenshüter eine zentrale Rolle.
Wenn in den letzten 50 Jahren insbesondere im Christentum die… Toleranz auch gewachsen ist, bleibt - wie bei der Geschlechtergleichstellung - noch viel zu tun.
Im Islam, in nicht säkularen oder gar Gottesstaaten herrscht hier leider bisweilen immer noch tiefes Mittelalter.
Herr Leonard.
Die universellen Menschenrechte sind westlichen Ursprungs.Und es gibt Menschen, die nichts anfangen können mit dieser Idee, zum Beispiel Indianerstämme am Amazonas, die nur selten Kontakt haben mit der Außenwelt. Wie will man solchen Leuten die universellen Menschenrechte erklären ? Ist genau so unmöglich wie einer Kuh das Singen beizubringen.
Die Abneigung und Ablehnung von LGBTQ+-Menschen durch Islam, Judentum und Christentum hat meiner Meinung damit zu tun, dass LGBTQ+-Menschen nicht vermehren können wie eine Beziehung Mann/Frau.Die alte römische Religion der Antike war da sehr viel toleranter. Aber die offizielle Ablehnung ist eine Sache, die tatsächliche Realität etwas anderes.Da hat auch jedes Tierchen sein Pläsirchen, sei es der Pfarrer oder sonst wer.