Rumms! Die Gemeinderatssitzung in Kelmis war gerade mal zehn Minuten alt, da war sie für Jean Ohn auch schon zu Ende. Einer der beinahe üblichen verbalen Schlagabtausche zwischen ihm und Luc Frank war diesmal so eskaliert, dass der fraktionslose Ohn die implizite Aufforderung des Bürgermeisters annahm und den Saal der Patronage verließ - wie eingangs schon erwähnt: mit einem lauten Knall.
Müssen wir uns jetzt Sorgen machen um die Debattenkultur in Ostbelgien? Nur zwei Tage später hatten wir im St. Vither Stadtrat fast die gleiche Konstellation in der Fragestunde, die das Ratsmitglied Werner Henkes zu einer weitreichenden Abrechnung mit dem Führungsstil von Bürgermeister Herbert Grommes nutzte - ohne dass es da zu ähnlich weitreichenden Konsequenzen gekommen wäre wie in Kelmis.
Die Stimmung ist in St. Vith wie in Kelmis im Allgemeinen angespannt bis eisig. Ein himmelweiter Unterschied zum ungezwungenen Austausch im Reuländer Gemeinderat, wo wie in Kelmis die Mundart die Diskussion belebt. Allerdings gibt es dort auch nur eine Liste und keine Opposition - und keine konfliktfördernde Vorgeschichte.
Denn überall da, wo amtierende und ehemalige Verantwortungsträger aufeinandertreffen, scheint es schwieriger miteinander auszukommen: Kelmis ist da ein treffendes Beispiel, auch Raeren, Lontzen, St. Vith oder in früheren Legislaturperioden Bütgenbach mit geradezu legendären, ellenlangen Wortgefechten. Das muss uns jetzt nicht über die Maßen bekümmern, vieles liegt auch daran, dass ganz einfach die Chemie nicht stimmt - und es soll ja sogar Gemeinderäte geben, wo die wenigen Zaungäste sich mehr politische Auseinandersetzung wünschen würden.
Da fällt mir die Geschichte eines langjährigen Gemeindesekretärs ein, der ganz zu Beginn seiner Laufbahn mal gefragt hatte, zu welchen Listen denn die Streithähne gehörten, die sich vorher so heftig angegangen waren. "Alle zu derselben!" hieß es daraufhin. Das gehört also in gewisser Weise dazu, gerade in einem "großen Dorf", wie es Ostbelgien im Grunde ist.
Bedenklicher ist, wenn mögliche Interessenten vor einem politischen Engagement zurückschrecken, weil sie fürchten, in den Sozialen Medien unflätig angegangen zu werden, im schlimmsten Fall von "Unbekannt". Anfang der Woche wurde eine Studie der Freien Universität Brüssel publik, wonach sich jeder vierte Politiker (auf regionaler oder föderaler Ebene) häufig Beleidigungen, Drohungen, Einschüchterungen oder übler Nachrede ausgesetzt sieht - und damit direkt oder indirekt ihnen nahestehende Personen, was auch im "großen Dorf" Ostbelgien schon vorgekommen ist - und vorkommt.
In der Gemeinde Enghien haben der Bürgermeister und die Schöffen Mitte Februar "gestreikt" und die Gemeinderatssitzung kurz nach Beginn abgebrochen, um ein Zeichen zu setzen gegen persönliche Angriffe auf die Gewählten, aber auch auf Angestellte der Gemeindeverwaltung.
Vor einem Jahr hatte der wallonische Städte- und Gemeindeverband in einer großen Umfrage das Phänomen beschrieben mit "Le Blues des élus": Demnach hatte jeder zweite der Befragten schon daran gedacht, vorzeitig aufzuhören. Die Gründe waren vielfältig und auch nicht alle auf Anpöbelungen oder Hassrede zurückzuführen, viele der Mandatare machten aber gerade Social Media dafür verantwortlich, dass sich das Verhältnis zu den Bürgern merklich abgekühlt habe.
Auch bei der mitunter schwierigen Suche nach möglichen Kandidaten für die Wahlen auf den unterschiedlichen Ebenen wird dieses Argument häufiger vorgebracht. Nun wird die Entscheidung für oder gegen ein politisches Engagement nicht alleine davon abhängen. Schaden kann es aber nicht, sich über die Umgangsformen ein paar Gedanken zu machen.
Stephan Pesch
Hier beklagen sich Privilegierte.Wenn social Media ein Problem ist, dann eben nicht mitmachen.Ohne Facebook und Co lebt es sich ruhiger.Bis heute habe ich nicht herausgefunden, welchen Zweck die haben.Ist also ungefähr wie mit den Hinkelsteinen von Obelix.
Und Politiker sind nicht die einzigen, die solche negativen Erfahrungen machen.Das gibt es auch in anderen Berufen wie bei Rettungssanitätern, Feuerwehrleuten, Polizisten etc
Über die Ursachen hat man nicht gesprochen.Die sind wahrscheinlich in der allgemeinen Unzufriedenheit über Politik zu finden.Wenn Politiker und Bevölkerung unzufrieden sind, kann man nur schlussfolgern, daß alle in einem Staatswesen leben, das eigentlich keiner will.
Die meisten Menschen verhalten sich so, wie es die ihnen umgebenden Rahmenbedingungen erlauben. Je krisenhafter und irrer die Verhältnisse, um so auffälliger das Verhalten. In dem Kommentar werden nur Symptome beschrieben.
Die Debatten im St. Vither Stadtrat waren immer konstruktiv und der Umgang der Ratsmitglieder miteinander immer gut, auch wenn es logischerweise verschiedene Meinungen zu einigen Themen gab. Und ich glaube, dass es heute auch noch so ist. Wenn nun das Ratsmitglied Werner Henkes, aus welchem Grund auch, seinen Frust an dem Gemeindekollegium und den Mehrheitsmitgliedern auslässt, sollte dass kein falsches Bild auf die anderen Ratsmitglieder werfen.
Was hier geschildert wird, ist demokratische Debattenkultur.
Im Westen nichts Neues... oder ist der Westen nicht mehr demokratisch???