Dieser Sonntag ist ein besonderer. Nicht wegen der Karnevalsumzüge an Mittfasten. Das auch. Aber vor allem ist es der runde Jahrestag eines bedeutenden Vorgangs für die Autonomie der deutschsprachigen Belgier: Vor 50 Jahren, am 10. März 1974, haben sie zum ersten Mal ihre eigene und direkte Volksvertretung wählen dürfen.
Stärker erinnert und größer gefeiert wurde die Einsetzung des ersten Rates der deutschen Kulturgemeinschaft im Oktober 1973, auch wenn sie ein schreiendes Beispiel dafür war, dass die damaligen Stakeholder zum Teil Angst vor der eigenen Courage hatten - im Interesse angestammter Kräfteverhältnisse - oder der eigenen Bevölkerung nicht über den Weg trauten. Der Proporz in dieser Pseudo-Vertretung war nach eigenem Gusto der traditionellen Parteien zusammengeschustert worden. Erst ein halbes Jahr später durften die Menschen selbst ihre Wahl treffen.
Das Studienbüro CRISP hat es nun schwarz auf weiß belegt: Die deutschsprachigen Belgier saßen beim Umbau des belgischen Staates, den der ständige Streit zwischen Flamen und Wallonen auslöste, nicht in der ersten Reihe. Wer hätte das gedacht? Interessant wäre auch aufzuzeigen, wer auf der Autonomie-Bremse gestanden hat. Nicht in Brüssel: in Ostbelgien!
Die deutschsprachigen Belgier sind lebenserfahren und bescheiden genug, um zu verstehen, dass sie in Belgien nicht die erste Geige spielen. Der langjährige Gemeinschaftspolitiker Karl-Heinz Lambertz, der "seiner" DG den Stempel aufgedrückt hat wie kein anderer, hat ihre Rolle mal mit dem Einsatz eines Triangels in einem großen Orchester verglichen: nicht tonangebend, aber gut beraten, im passenden Moment, an der richtigen Stelle zu erklingen.
Anlässlich des runden Jahrestages zur ersten Direktwahl hat nun ein Kolloquium im Parlament diese Rolle der Deutschsprachigen Gemeinschaft beleuchtet. Ausgehend von einem Bild des Politologen Christoph Niessen wurde ein Bild aus dem Radsport bemüht: das Fahren im Windschatten des Pelotons.
Im Windschatten fahren bringt Radfahrer auch bei schwierigen Verhältnissen ans Ziel. Es hilft Kräfte sparen, aber es befreit nicht davon, selbst in die Pedale zu treten. Sonst sind die anderen weg! Es reicht nicht, sich auf die Tagesform der Teamkapitäne zu verlassen oder auf die Begleitfahrzeuge.
Am Vorabend dieses anschaulich-wissenschaftlichen Aus- und Rückblicks auf die Autonomie ist in St. Vith (sinnigerweise im "Triangel") der Streckenverlauf für die kommenden drei Legislaturperioden vorgestellt worden - bei einer Regionalkonferenz der heutigen Stakeholder. Ein Prozess, bei dem nach Angaben der Autoren dieses Regionalen Entwicklungskonzepts rund 7.000 Bürger der Deutschsprachigen Gemeinschaft mitgemacht hätten.
Sie und die rund 73.000 anderen (nicht befragten) bilden, um im Bild zu bleiben, das große Peloton auf diesem Weg der Autonomie. Auch dafür gilt: Es fährt sich leichter im Windschatten. Auf Dauer geht es aber nicht, ohne selber zu strampeln. Nun sind wir hier nicht Wout Van Aert, Philippe Gilbert oder Remco Evenepoel. Doch immerhin hat die DG einen wie Laurenz Rex.
Stephan Pesch