Die dumme Niedertracht schämt sich nicht mehr, sie stolziert vielmehr mit breiter Brust durch die Straßen. Insbesondere der Antisemitismus ist aus dem dunkelsten Keller der Geschichte wieder ans Tageslicht gekommen. Ganz weg war er ohnehin nie. Er hielt sich verborgen, oft in verklausulierten Anspielungen, zwischen den Zeilen, codiert. Etwa dann, wenn Kapitalismus-Kritik plötzlich in Verschwörungserzählungen abdriftet; wenn die "Hochfinanz" für die Kriege auf der Welt verantwortlich gemacht wird, weil sie ja die Weltherrschaft anstrebt; und wenn schließlich - damit auch wirklich jeder im Kopf die Brücke macht - dann am Ende Namen wie "Rothschild" fallen. Man spricht hier von strukturellem Antisemitismus - grob zusammengefasst: Antisemitismus ohne Juden.
Diese Mühe machen sich immer mehr Leute inzwischen nicht mehr. Dieses Stadium ist passé. Jetzt werden wieder ein bisschen überall in der westlichen Welt Juden auf der Straße angepöbelt oder gemobbt, manchmal sogar physisch angegriffen, werden jüdische Einrichtungen und Geschäfte beschmiert, mit Graffitis versehen, oft schlichtweg "markiert" mit dem Davidstern. Wie in aller Welt kann man so geschichtsvergessen sein?! Der schrecklichste aller Dämonen kratzt schon wieder an der Tür, der, den man auf Französisch - in Anlehnung an einen Text von Bertolt Brecht - "La bête immonde" nennt, das widerwärtige Untier.
"Markierte" jüdische Geschäfte und Einrichtungen - auch schon gesehen in Berlin, ausgerechnet in Berlin! Das muss uns wachrütteln! Und man macht es sich zu einfach, wenn man derlei Zwischenfälle pauschal den islamischen Gemeinschaften in die Schuhe schiebt. Die Rolle von Muslimen im wieder aufkeimenden Antisemitismus ist zwar tatsächlich nicht zu leugnen. Aber das ist allenfalls ein Teil der Erklärung. Ums mal ganz salopp zu sagen: Weiße Christen können das auch.
Bester Beweis sind etwa die vielen von Impfgegnern verbreiteten Verschwörungsmythen, in denen oft die Juden und ihr angebliches Streben nach Weltherrschaft eine tragende Rolle spielen. Nicht zu vergessen die unsäglichen Vergleiche, die gerne von Impfgegnern ins Feld geführt werden, etwa wenn sie Sterne mit der Aufschrift "Ungeimpft" tragen oder die Fotomontage eines KZ-Eingangs mit dem Spruch "Impfen macht frei" durch die Welt posten. Sekundären Antisemitismus nennt man das: Der Holocaust, dieses Jahrtausendverbrechen wird damit auf ebenso obszöne wie perfide Weise heruntergespielt, relativiert. Dass ausgerechnet der israelische UN-Botschafter das gleiche tat, als er sich vor dem Weltsicherheitsrat einen gelben Stern ans Sakko heftete, in Anlehnung an den Judenstern der Nazis, das allerdings hat dem Fass den Boden rausgehauen.
Das alles nur um zu sagen: Antisemitismus lässt sich nicht auf eine Bevölkerungsgruppe reduzieren, er ist nach wie vor tief verwurzelt in unseren Gesellschaften. Dass der Nahost-Krieg jetzt aber dazu führt, dass sich unsere dunkelste Seite so plötzlich und deutlich wieder nach außen kehrt, das ist schon erschreckend. Und das ist keine Überdramatisierung, denn es mehren sich die Stimmen aus der jüdischen Gemeinschaft, die sich auch in Belgien schlichtweg nicht mehr sicher fühlen.
Es ist denn auch legitim und nachvollziehbar, wenn der Antwerpener Bürgermeister Bart De Wever jetzt für den Einsatz der Armee in seiner Stadt plädiert, um die große jüdische Gemeinschaft und ihre Einrichtungen besser schützen zu können. Man will's ja nicht beschwören, aber es ist unstrittig, dass diese Menschen gerade besonders bedroht sind. Oder sagen wir es mit dem Umkehrschluss: Ein Mensch mit offen zur Schau gestellten palästinensischen Symbolen wie dem Arafat-Schal, der riskiert wahrscheinlich wenig bis gar nichts. Und es ist schlicht und einfach unlauter, wenn man angesichts der realen Bedrohung der jüdischen Gemeinschaft einfach nur ein simples "selber schuld" erwidert: Die Antwerpener Juden können nun wirklich nichts für die Politik der israelischen Regierung. Man sollte doch bitte mal aufhören, hier alles in einen Topf zu schmeißen!
Nein, die Forderung, jüdische Einrichtungen - nicht nur in Antwerpen - effizienter und vor allem auch sichtbarer zu schützen, sie ist berechtigt. Wie gesagt, man will's ja nicht beschwören, aber muss immer erst was passieren, ehe sich die Politik bewegt? Die gleiche Feststellung musste man ja auch schon nach dem Brüsseler Anschlag von vor zwei Wochen machen.
Schlimm genug natürlich, dass man überhaupt über solche Maßnahmen wie eben den Einsatz von Soldaten nachdenken muss. Insgesamt muss man leider ohnehin den Eindruck haben, dass inzwischen in unseren Gesellschaften jedes Thema zur Polarisierung taugt. Ist man für den einen, dann ist man damit automatisch gegen den anderen - und umgekehrt. Verständnis für das Leid der Bewohner des Gazastreifens, die Forderung nach einer humanitären Waffenruhe, das bedeutet aber eben nicht, dass man damit den barbarischen Terrorangriff der Hamas rechtfertigen oder kleinreden will. Das Ganze ist doch schon tragisch genug, da muss man doch nicht auch noch den Krieg und die Schwarz-Weiß-Muster aus dem Nahen Osten in unsere Gesellschaft importieren.
Roger Pint
Und was kann ich als Normalbürger gegen Antisemitismus tun ? Welche praktischen Möglichkeiten gibt es ?
Zum Beispiel einem verurteilten St. Vither Arzt in aller Deutlichkeit widersprechen, der in einem ostbelgischen Meinungsforum allen Ernstes behauptet, die Corona-Impfkampagne sei… „das größte Verbrechen in der Geschichte der Menschheit“. Oder dem Eupener Dr. Phil. und Mount Everest-Bezwinger widersprechen, der seit Jahren neben der genannten Rothschild- auch die angebliche „Soros-Verschwörung“ verbreitet.
Beispiele für strukturellen Antisemitismus gibt es auch in Ostbelgien zur Genüge. Man muss sie nur sehen wollen.
Der hervorragende Kommentar von Roger Pint ist ein wichtiger Beitrag dazu. Ebenso die bemerkenswerte Video-Ansprache des deutschen Vizekanzlers Robert Habeck.
Zum Beispiel:
Die Golanhöhen als Hochspeicher für Trinkwasser, das von Blauhelmen aus dem Mittelmeer gewonnen wird. Von da Aquädukte nach Libanon, Syrien, Jordanien, Palästina und Israel. Wasser ist halal, Wasser ist koscher. Wenn die Negev Wasser hat, können dort jüdische Siedler zeigen, was sie drauf haben statt im Westjordanland die Enge zu wählen. Errichtung des Campus Vogelsang in der Eifel, wo die tatsächlichen Parameter des Begriffes Lebensraum international erforscht, gelehrt und die Techniken und Regularien geteilt werden. Smetanas Moldau als Wassersymbol wird Europahymne und wenn sich Israel trotz aller Schmerzen traut, die Hatikva leise einfach mal im 3/4-Takt zu summen, besteht Hoffnung, den Antisemitismus dieser Welt zu besiegen. Denn wir alle brauchen kaltes, klares Wasser.
Manchmal brauchen wir auch einfach nur eine… kalte Dusche. Ob das auch gegen Antisemitismus hilft, Herr Völtz, entzieht sich meiner Kenntnis. Vielleicht wenn Blauhelme das Handtuch reichen?
Herr Leonard.
Greta Thunberg und "Friday for Future" haben sich nicht vom Terror der Hamas distanziert.Die sind pro palästinensisch eingestellt wie alle Linksradikale.
Ecolo Ostbelgien sollte in der jetzigen Situation klar Stellung beziehen und sich distanzieren von Greta Thunberg und Friday for Future, um glaubwürdig zu bleiben als demokratische Partei.Bitte nicht die Wahlen 2024 vergessen,...
Wenn Antisemitismus wieder ein Problem ist, dann haben all die Museen, Gedenkstätten, Gedenkveranstaltungen, Gesetze gegen die Leugnung des Holocaust etc nicht viel genutzt.Dann muss man sich mal was anderes einfallen lassen.Jetzt ist guter Rat teuer.
Zumindest “Fridays for Future” (Deutschland) hat sich deutlich von den Aussagen Greta Thunbergs distanziert. Zu Recht! Verbreiten Sie also bitte nicht erneut Fake-News. Man kann/muss übrigens sehr wohl den Terror und die Menschenverachtung der Hamas verurteilen und dennoch auch für eine Lösung der Palästinenserfrage eintreten. Nicht jeder, der dies tut ist Antisemit und ein Linksradikaler. Aber die rhetorische Keule der “Gutmenschen” oder “Linksradikalen” passt halt in manches Denkschema.
Da ich seit 20 Jahren nichts mehr mit ECOLO-Ostbelgien zu tun und auch keine Wahlen - außer als politisch interessierter Beobachter - im Blick habe, sollten Sie sich direkt an die Partei wenden und auch alle anderen Parteien um eine Positionierung bitten.
Ich nehme zur Kenntnis, dass Sie zu den konkreten Beispielen strukturellen Antisemitismus außer Polemik nichts beizutragen haben und offensichtlich fällt auch jemandem, der die Palästinenser am liebsten in die Wüste Sinais verfrachten möchte, nichts Besseres ein.
Herr Leonard.
Selbstverständlich betreibe ich Polemik. Das ist Teil der Debatte.
Ich für mein Teil bin froh, Greta Thunberg nicht auf den Leim gegangen zu sein.Sie und viele andere haben sich blenden lassen, weil Sie es wollten.Greta und Konsorten spielen mit Gefühlen und so wird der gesunde Menschenverstand ausgeschaltet.Da geht es nicht um konkrete Problemlösung sondern darum, Menschen zu manipulieren wie in jedem totalitären System. lGreta und Konsorten sind politische Extremisten, die Selbstverständlichkeiten wie Privateigentum, Meinungsfreiheit, demokratische Entscheidungsprozesse nicht akzeptieren.
Ohne den europäischen Antisemitismus gäbe es Israel gar nicht. Die Israelis sind genau wie die Palästinenser Vertriebene und fallen so in unseren, europäischen Verantwortungsbereich.
Also ne kalte Dusche wahlweise inmitten der Negev, in Gaza, im Libanon, Westsyrien oder Jordanien mit bestem UN-Trinkwasser vom Golanspeicher, das wär doch schon mal ein Anfang. Die Blauhelme reichen mir ja schon das Wasser, deswegen Handtuch bringe ich selber mit.
Vor nichts hat der europäische Antisemitismus mehr Angst als vor Frieden, Prosperität und Kommunikation im Nahen Osten.