"Um aus Fehlern zu lernen, muss man erst welche machen", sagte der flämische Autor und Historiker David Van Reybrouck beim Start des ostbelgischen Bürgerdialogs. Der erklärte Befürworter und Promotor von Bürger-Partizipations-Initiativen und Berater der DG in dieser Frage war begeistert, dass die Deutschsprachige Gemeinschaft diesen Schritt gewagt hat.
Als journalistischer Beobachter mehrerer Bürgerdialogrunden muss man respektvoll anerkennen, dass in dem ganzen Prozess Fehler mit der Lupe zu suchen sind.
So schön der Bürgerdialog in der Theorie ist, braucht er ganz praktisch Bürger, die sich der Sache ernsthaft annehmen. Und das ist absolut der Fall. Es ist beeindruckend zu sehen, mit welcher Sachlichkeit nach guten Lösungen für große Probleme gesucht wird. Die Gespräche und Sitzungen mit den Politikern finden auf Augenhöhe statt - und das in selbstbewusster und zugleich unaufgeregter Weise. Auswärtigen Beobachtern dürfte es schwer fallen, auseinanderzuhalten, wer da als Bürger oder Politiker spricht.
Überraschend ist viel mehr, dass die ausgelosten Bürger den Politikern in Sachen Regelungswut und Verbotslust in nichts nachstehen. Und genau hier drückt der Schuh. Beim Thema "günstiges Wohnen" sind zum Beispiel 45 Handlungsempfehlungen herausgekommen - mehr Vorschläge als Teilnehmer. Hoffentlich das Ergebnis einer sprudelnden Ideenfindung und nicht der Ausdruck maximaler Kompromisslosigkeit in den Arbeitsgruppen, bei der jeder seine Idee durchdrücken wollte.
Bedauerlicher ist, dass es der Politik dadurch zu leicht gemacht wird, eine unbequeme Empfehlung links liegen zu lassen, da es bestimmt genug genehme Empfehlungen gibt, die man begeistert umsetzen kann.
Dabei darf man den ostbelgischen Abgeordneten nicht gleich schlechte Absichten unterstellen. Denn bei der Ideenfreude kommt es vor, dass sich einzelne Empfehlungen auch im Kern widersprechen. Wenn also eine Idee ignoriert werden muss, dann ist es verlockend, die umzusetzen, die einem besser passt. Dumm nur, wenn eine bahnbrechende Idee begraben wird, um eine Reihe von Dingen umzusetzen, die weniger schlagkräftig sind.
Hier liegt vielleicht auch eine Aufgabe für den Bürgerrat, der die Themen für die Bürgerversammlungen vorgibt. Müssen es immer die Themen sein, die fast in jedem Staat eine andauernde gesellschaftspolitische Herausforderung darstellen? Die ersten Bürgerdialogthemen Pflege, Inklusion und das Wohnen sind so gut wie durch. Zurzeit geht es um Digitalisierung und Inklusion.
Alles dicke Bretter, die immer weiter gebohrt werden müssen. Dabei gibt es sie, die Themen, bei denen man mal für Klarheit sorgen könnte. Hier eine Auswahl aus den eingereichten Vorschlägen: Sollte man den Feiertag der DG auf den 1. Mai legen, damit jeder auch mitfeiern kann? Sollte die Regierung Studenten einen Zuschuss zur Finanzierung ihrer Studentenkots gewähren? Sollten Steingärten ohne Wasserversickerungsmöglichkeit verboten werden?
Vielleicht nicht die edelsten Themen, aber manchmal ist weniger mehr. In dem Fall mehr Einfluss! Und ich gebe zu: Es wäre interessant zu sehen, ob die Bürgerversammlung nicht nur viele Ideen hat, sondern sich bei einer Entweder-Oder-Frage auch einigen kann.
Manuel Zimmermann
Einst bezeichnete Bismarck den deutschen Reichstag als "Schwartzbude". Soweit möchte ich nicht gehen. Den Bürgerdialog kann trotzdem als "Ostbelgiens teuersten Debatierclub" bezeichnen. Es wird geredet und jede Menge Dokumente produziert. Und mit welchem Ergebnis ? In welchem Bereich hat die Arbeit des Bürgerdialogs zu einer Verbesserung geführt ?
Für mich ist und bleibt der Bürgerdialog eine scheindemokratische Veranstaltung. Genau wie die Volkskammer der DDR. Warum wird nicht jeder Bürger beteiligt mittels direkter Demokratie ? Hat man Angst vor Volkes Stimme ?