"Schwamm drüber", würde man am liebsten sagen. Erstmal im Wortsinn: Es wäre schön gewesen, wenn zumindest jemand am Ende mal den Quickenbornschen Partygästen hinterhergewischt hätte. "Schwamm drüber", das hätte man sich spätestens auch in dem Moment gewünscht, als der Justizausschuss der Kammer zu einer Sondersitzung zusammenkam, die allen Ernstes ausschließlich dem Pinkel-Vorfall gewidmet war. Denn was da zum Besten gegeben wurde, das kann man sich nicht ausdenken.
Der Justizminister, der die Videos seiner Überwachungskameras vorführt, um seine früheren Aussagen zu untermauern, Bilder, die sich im Wesentlichen auf nicht mehr ganz so standfeste Männer in weiß reduzieren lassen. "So genau wollten wir es nun auch wieder nicht wissen", diesen Satz konnte man zuweilen auch von den verdutzten Abgeordnetengesichtern ablesen. Dann kam aber erst noch die groteske Szene, bei der sich ein sichtbar angetrunkener Vincent Van Quickenborne nach hinten lehnt und dabei etwas diffuse Handbewegungen macht. "Hat er da jetzt eine Pinkelgeste imitiert, oder hat er vielleicht doch Luftgitarre gespielt?"
Bezeichnenderweise konnte Van Quickenborne die Frage selbst nicht wirklich beantworten, sondern konnte auch nur die Bilder interpretieren. "Pinkelgeste oder Luftgitarre?", das war also einen Moment lang die Gretchenfrage. Im Justizausschuss der Kammer! "Die peinlichste Kommissionssitzung aller Zeiten", so denn auch die vernichtende Schlagzeile der Zeitung Het Laatste Nieuws. Und auf diesen "Titel" kann niemand stolz sein.
Hätte man da also nicht besser gleich "Schwamm drüber" gesagt? Man ist da hin- und hergerissen. "Schwamm drüber" - ja, zumindest dann, wenn man sich allein auf die Frage beschränkt, worum es hier eigentlich geht. Es ist die Geschichte von einem Rudel nicht mehr ganz so junger Männer, die zu fortgeschrittener Stunde alkoholgeschwängert in pubertäres Verhalten abgleiten. Vielleicht nicht unbedingt das oft bemühte "Kind im Manne", eher der halbstarke Trottel. Aber Politiker sind schließlich auch Menschen. Und da seien ihnen auch schonmal peinliche, aber eben menschliche Fehltritte verziehen.
Genau in diese Richtung wollte Van Quickenborne das Ganze wohl auch lenken. Deswegen die detailverliebte Präsentation mit den peinlichen Videoschnipseln. "Was machen wir eigentlich hier?", diesen Satz wollte er damit den geneigten Zuschauern gewissermaßen in die Köpfe pflanzen. Mit dem Ziel, dass am Ende eben jeder sagt: "Mein Gott, kann passieren. Schwamm drüber!".
Wenn da die zweite Ebene nicht wäre. Und hier geht es beileibe nicht darum, irgendwelche scheinheiligen Moralpredigten zu halten. Aber bei allem Verständnis für den Menschen Van Quickenborne: Er ist der föderale Justizminister. Er hat in dieser Eigenschaft schon unzählige Male Respekt eingefordert, Respekt vor dem Gesetz, Respekt vor den Ordnungskräften.
Hinzu kommt dann auch nochmal, dass das besagte Polizeifahrzeug eben nicht zufällig vor seinem Haus stand, sondern Teil der Schutzmaßnahmen ausmacht, die für den Justizminister und seine Familie ergriffen wurden. Eben weil dieses Fahrzeug in der Geschichte eine Rolle spielt, weil sie sich im Öffentlichen Raum abspielt, übersteigt das Ganze auch den privaten Rahmen. Und da macht es auch keinen Unterschied mehr, wer da den Polizeiwagen besudelt hat: Es passierte auf der Party des Justizministers. Des Mannes, der außerdem eben in dieser Eigenschaft auch noch gerade mit den Polizeigewerkschaften wegen einer geplanten Erhöhung des Rentenalters überkreuz liegt.
Über deren Rolle in dieser Geschichte ließe sich zwar auch einiges sagen. Sagen wir mal so: Sie haben hier kräftig mitgeschürt. Aber den eigentlichen Anlass haben nunmal immer noch die unflätigen Gäste des Justizministers geliefert. Und damit haben sie ihren Gastgeber in eine unmögliche Lage gebracht. Das hat nichts mit irgendeiner Form von Sippenhaft zu tun: Das Bild ist einfach nur desaströs, die Glaubwürdigkeit des Justizministers auf mehreren Ebenen mindestens ramponiert. Und da kann er sich noch so sehr schämen, noch so demütig um Verzeihung bitten: "Le mal est fait", "der Schaden ist angerichtet".
Und das gilt leider auch für die Episode, die eigentlich als Aufarbeitung gedacht war, also besagte "peinlichste Ausschusssitzung aller Zeiten". Ums mal so auszudrücken: Wer die parlamentarische Demokratie als obsolet, als organisierte Zeitverschwendung hinstellen will, der könnte es nicht besser machen. Und man darf davon ausgehen, dass so manchem Extremisten - links wie rechts - das Herz aufgegangen ist angesichts dieses Trauerspiels.
So sehr der Vorfall an sich auch in manchen Augen wie Pillepalle anmuten mag, "Schwamm drüber" kommt hier nicht infrage. Dafür ist der Schaden zu groß. Den Rücktritt des Justizministers mag man vielleicht nicht fordern wollen. Aber es wäre wünschenswert gewesen, wenn er selbst seine Konsequenzen gezogen hätte.
Roger Pint
Es gibt eben nur ein Manneken Pis. Da können sich Van Quickenborne und Co noch so bemühen....
Wenn Bilder von Überwachungskameras interpretierbar sind, dann wird in Zukunft jedes Bild interpretierbar sein, auch die von den Blitzern auf unseren Strassen, schliesslich sind das Standbilder, und belegen nicht dass der Fahrer am fahren ist... Er sitzt halt nur am Steuer eines PKWs... !
Es ist schon unglaublich was uns da für eine Show geboten wird. Öffentliches Herum-Urinieren und auch noch gegen Polizeiwagen (öffentliches Eigentum) ist doch eine Straftat, oder nicht ? Wer das entschuldigt, oder auch nur versucht zu entschuldigen, hat keinen Berechtigung mehr an irgend einer Regierung teil zu haben, denn was für Gesetze schmieden uns solche Zeitgenossen ?