"Von Gott und der Welt verlassen", mit diesem einen Satz könnte man wohl das Gefühl auf den Punkt bringen, das bei den Mitarbeitern von Delhaize und von Ryanair in diesen Tagen vorherrschen muss.
Bei Delhaize kämpfen die Gewerkschaften seit inzwischen mehr als fünf Monaten gegen die geplante Konzessionierung der noch verbleibenden 128 betriebseigenen Filialen der Supermarktkette. Gänzlich ohne Erfolg. Bei Ryanair fordern die Arbeitnehmer eigentlich "nur" eine Wiederherstellung der Bedingungen, wie sie vor der Coronakrise galten. Auch hier ist kein Ende in Sicht. Am Montag und Dienstag legen die Piloten bereits zum dritten Mal in Folge die Arbeit nieder.
Beide Sozialkonflikte zeigen deutliche Parallelen auf, die sich - je nach Blickwinkel - auf zwei mögliche Arten auf den Punkt bringen lassen. Die einen würden sagen, dass in beiden Fällen die Gewerkschaften mit ihren eigenen Grenzen, um nicht zu sagen mit ihrer eigenen Ohnmacht konfrontiert werden. "Und das wurde auch Zeit!", würde da so mancher wohl gern hinzufügen.
Andere wiederum würden beklagen, dass sowohl bei Delhaize als auch bei Ryanair die Unternehmensleitungen mit in Belgien bislang selten gesehener Härte vorgehen, mit zynischer Brechstange könnte man sagen, wobei sie dabei die geltende Sozialgesetzgebung entweder gekonnt umschiffen, wenn sie sie nicht gleich komplett ignorieren.
Doch gleich, wie man es formuliert: Fakt ist, dass das nichts mehr mit dem viel gerühmten Sozialen Dialog zu tun hat, auf den dieses Land mal so stolz war. Dabei sollte die Wahrheit doch eigentlich immer noch in der Mitte liegen.
Einerseits darf es nicht sein, dass am Ende allein die Gewerkschaften entscheiden, wohin die Reise geht. Das mag in der Vergangenheit allzu oft passiert sein, doch kann man den belgischen Gewerkschaften längst nicht mehr pauschal eine fundamentalistische Grundeinstellung unterstellen. Viel zahlreicher sind heute die Beispiele, bei denen etwa sogar schmerzhafte Umstrukturierungen im Zusammenspiel zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften zustande kamen.
Die Arbeitnehmervertretungen mögen also - zu Recht - nicht das alleinige Maß aller Dinge sein. Aber das gilt andererseits auch für die Arbeitgeber. Natürlich sind sie letztlich die "Chefs", um es mal salopp zu formulieren. Aber wir sind nunmal nicht mehr im 19. Jahrhundert, wo die Bosse noch allmächtig waren. Doch mag man den Eindruck haben, dass sich die Geschäftsleitungen von Ahold Delhaize bzw. Ryanair eben wieder in dieser Position wähnen.
Denn in beiden Sozialkonflikten sieht es doch sehr danach aus, dass die Konzerne der Welt ihren Willen aufzwingen wollen, ohne sich dabei auch nur anzuhören, was die Gegenseite zu sagen hat. Und warum tun die das? Weil sie es können! Oder besser gesagt: Weil man sie lässt! Und das ist im Grunde die schmerzliche Wahrheit.
Im Fall Delhaize ist das noch nicht ganz so offensichtlich: Ob das Unternehmen nun tatsächlich die sogenannte Renault-Prozedur anwenden muss oder nicht, an dieser Frage scheiden sich noch die Geister. Das hätte ja unter anderem zur Folge, dass man etwa für ältere Mitarbeiter nach einer "sozialen Hintertür" suchen müsste, damit die nicht quasi auf der Zielgeraden noch erworbene Rechte verlieren, die sie über Jahrzehnte aufgebaut haben. Dass das Management von Ahold Delhaize selbst darüber momentan nicht mal diskutieren will, das mag ein Bruch mit dem belgischen Sozialen Dialog sein. Ob es auch ein Rechtsbruch ist, das muss sich allerdings erst noch zeigen.
Bei Ryanair ist es offensichtlicher. Da wird die belgische Sozialgesetzgebung schon seit Jahren regelrecht mit Füßen getreten. Mehr noch: Ryanair erfinde sich seine eigenen Gesetze, beklagen Gewerkschafter, die auch konkrete Beispiele anführen, die diesen Eindruck untermauern. Das alles passiere gerade in diesen Tagen noch immer unverhohlener.
Und hier wird dann doch eine rote Linie überschritten. Multinationale Konzerne mögen inzwischen so mächtig sein, dass sie quasi jede Regierung dazu bringen können, nach ihrer Pfeife zu tanzen. Aber Gesetz ist nunmal Gesetz. Doch selbst in der Wallonie scheinen da alle den Kopf in den Sand gesteckt zu haben. Sogar diejenigen, die sonst bei jeder Gelegenheit zu den Klängen der "Internationalen" die geballte Faust in den Himmel recken.
Also nicht nur, dass man Ryanair in Charleroi fast buchstäblich den roten Teppich ausgerollt hat, wie es übrigens die Zeitung La Libre Belgique gerade nochmal aufgezeigt hat. Nein, man schaut sogar noch weg, wenn das Unternehmen schamlos all die viel besungenen sozialen Errungenschaften zum Mond schießt, die die meisten Parteien sonst allzu gerne hochhalten.
Das alles nur, um zu sagen: Es wird Zeit, dass die Politik die Leitplanken nochmal klar definiert, innerhalb derer sich die Sozialpartner insbesondere bei Umstrukturierungen zu bewegen haben. Denn was wir jetzt sehen, das erinnert zuweilen doch allzu sehr an den Wilden Westen, wo derjenige den Ton angab, der die längste Flinte hatte. Über den Inhalt, also die Regeln an sich, mag man diskutieren können. Wichtig ist nur, dass es Regeln gibt, und dass für alle dieselben gelten.
Roger Pint
Diese dummen Geschäftsleitungen und Unternehmensführer sind von ihrer inneren Natur zuallererst Egoisten. Die merken gar nicht, dass Gewerkschaften keine Gegenspieler sind sondern Stabilisatoren eines sogenannten kapitalistischen Ausbeutungssystems weltweiter Bauart. Fallen die Gewerkschaften als Korrektiv weg, implodiert der Rest im globalen Elend sowie blindwütiger Gewalt und alle gehen mit unter. Die haben die Welt angesteckt und legen weiter Brennholz nach. Weiter so. Je eher diese Verrücktheiten ein Ende finden, um so besser. Vielleicht klappt es dann ja auch mal irgendwann mit ein bisschen Frieden.
Die Politik sollte sich besser da raus halten.Denn dann müsste sie sich auch um andere kümmern, nicht nur Ryanair und Delhaize.Die Politik sollte dafür sorgen, dass das Budget der Arbeitsgerichte hoch genug ist.Denn Sozialkonflikte, wo kein Dialog mehr möglich ist, gehören vor Gericht und nicht zwischen die Mühlsteine der Politik.
In Belgien sollte man sich auch mal selbstkritisch die Frage stellen, warum Delhaize und Ryanair so handeln.Die Antwort kennt jeder : die Angaben und Steuern sind zu hoch, höher als in den Nachbarstaaten und das sind seltsamerweise auch Sozialstaaten und keine ausbeuterischen Bananenrepubliken.
Und belgische Gewerkschaften sind auch nicht besser wie die Direktionen von Delhaize und Ryanair.Ryanair blockiert Lohnerhöhungen und die Gewerkschaften blockieren Straßen und Betriebstore.
Ich glaube mich wage zu erinnern, dass die Gewerkschaften nach oder während der Coronakrise Delhaize vor der Weihnachtszeit dermaßen unter Druck gesetzt und Millionen Schaden verursacht haben, das Delhaize bereit war seinen Arbeitnehmern Löhne, Vergütungen und Prämien auszuzahlen, die in der Welt der Kaufhäuser wohl als einmalig gelten.
Die Gewerkschaften feierten dies damals als großartigen Erfolg und Delhaize war ab diesem Zeitpunkt die Großkaufhauskette mit den höchsten Löhnen und der kleinsten Gewinnmarge.
Wenn Delhaize jetzt den Schritt der Franchisenehmer geht, so ist dies die Folge davon. Und seien wir ehrlich, es geht den Gewerkschaften jetzt weniger darum Arbeitsplätze zu erhalten, die ja sowieso garantiert sind, sondern hauptsächlich darum hohe Entschädigungen von Delhaize zu erkämpfen, wohl zuerst für die Gewerkschaftsvertreter die in Zukunft in kleineren Filialen ganz normal mitarbeiten müssen.
Nur dies alles wird in der heutigen Berichterstattung über den Konflikt bei Delhaize wohl gerne "vergessen".