Da wird ein politischer Gegner ganz offensichtlich und systematisch von den Mühlen der Justiz zermahlen. Nein, die Rede ist nicht von Donald Trump. Die Rede ist von Alexej Nawalny. Der Kremlkritiker sitzt ja schon im Straflager. Zu neun Jahren war er 2020 verurteilt worden. Da hatte er knapp einen Anschlag mit Nervengift überlebt, für den er den russischen Inlandsgeheimdienst FSB verantwortlich machte.
Jetzt ist er zu einer neuen Haftstrafe verurteilt worden: heißt insgesamt 19 Jahre Straflager. Der inszenierte Vorwurf: Extremismus und anderes, Fadenscheiniges. Nawalny hält als politischer Gefangener den Kopf hin für eine russische Gesellschaft, die nur noch weiter eingeschüchert werden soll.
Ich könnte andere Namen nennen wie Wladimir Kara-Mursa. Er ist im April zu 25 Jahren Haft verurteilt worden, in einer Strafkolonie mit "strengen Haftbedingungen". Weil er den russischen Angriffskrieg in der Ukraine kritisiert hatte. Weil er gesagt hatte, dass Putin ukrainische Häuser, Krankenhäuser und Schulen bombardiere. Seine Berufung wurde Anfang der Woche zurückgewiesen.
In Washington hatte Anfang 2021 ein Mann eine Menge aufgehetzt, die daraufhin das Kapitol stürmte. Dafür soll er sich jetzt vor Gericht verantworten. Donald Trump plädiert auf "nicht schuldig". Sagt, das sei "ein sehr trauriger Tag für Amerika" - und damit dürfte er ausnahmsweise mal Recht haben. Mit seiner Opferrolle des politisch Verfolgten sollte er sich aber, bitteschön, zurückhalten.
Dass der narzisstisch veranlagte Trump bar jeden Selbstzweifels ist liegt auf der Hand. Dass ihm seine Anhänger auf den Leim gehen mag mit deren Persönlichkeitsstruktur zusammenhängen. Aber dass seine republikanische Partei ihm bis auf einige Ausnahmen wie Liz Cheney oder Mike Pence die Stange hält ist unverantwortlich.
Die verschiedenen Prozesse wegen dieser und anderer Vorwürfe werden uns weiter beschäftigen, samt Opfergetöse des Angeklagten. Zu befürchten ist, dass er daraus noch Kapital schlägt. Vor den Wahlen 2016 hatte Trump gesagt, er könnte sich mitten auf die Fifth Avenue stellen und jemanden erschießen - und würde keine Wähler verlieren. Mittlerweile nehmen wir ihm diesen schlechten Witz ab. Und leider mehr als das.
Stephan Pesch