1933 waren es Farbe, Boykottslogans und Backsteine durch Glasscheiben, mit denen die Nazis die geschäftliche Existenz jüdischer Menschen zerstören wollten. 90 Jahre später müssen sich ihre geistigen Erben noch nicht einmal mehr aus dem Haus begeben, um unliebsamen Mitbürgern zu schaden, Internet und Soziale Medien bieten mehr als ausreichend Gelegenheit, um digitale Mobs zu organisieren und sie mit Farbe und Backstein 2.0 in die Schlacht zu schicken. Mit "geistige Erben" sind übrigens Extremisten jeglicher Couleur gemeint, denn diese Art von Aktionen ist nicht ausschließlich Rechtsextremen vorbehalten.
Der Fall in Sint-Truiden ist in diesem Kontext auch längst kein Einzelfall mehr, jegliche "Wehret den Anfängen"-Warnung kommt längst zu spät. Und auch wenn das jetzt mitten in der "Pride Week" passiert ist und kurz vor dem Internationalen Tag gegen Homo-, Bi-, Inter- und Transphobie, sollte man nicht der Versuchung erliegen, das als Problem der LGBTQIA+-Gemeinschaft abzutun.
Nein, dieser Vorfall ist schlicht symptomatisch für den seit Jahren immer unverhohlener geführten Kampf radikaler Kräfte gegen eine offene und demokratische Gesellschaft. Denn nichts anderes sind solche Attacken letztlich: eine Kriegserklärung.
Diese Woche mag sich das gegen Transvestiten gerichtet haben, nächstes Mal sind dann vielleicht wieder Mal die Homosexuellen dran, oder ein alternativer Jugendtreff, oder orthodoxe Juden, oder eine muslimische Frau oder Mädchen mit Kopftuch. Oder jemand mit zu dunkler Hautfarbe, den falschen politischen oder persönlichen Überzeugungen oder dem falschen Beruf.
Es kann nämlich irgendwann jeden von uns treffen, je nach Lust und Laune irgendwelcher Bekloppter, die sich längst nicht mehr nur im Internet im Kulturkampf wähnen. Wobei das Wort "wähnen" sicher nicht zufällig mit "Wahn" verwandt ist. Bei diesen Leuten handelt es sich um nichts anderes als tickende Zeitbomben, um potenziell gefährliche Waffen, die nur auf den richtigen Moment für den Einsatz warten. Deswegen ist es ja auch kein Zufall, dass bestimmte Organisationen und Staaten solche Menschen in anderen Ländern unterstützen, sei es durch Geld, durch technische Unterstützung oder durch Strategie- und Taktik-Schulungen. Denn das Ziel ist letztlich immer das Gleiche, egal ob nun von innen oder von außen gesteuert: Polarisierung, Chaos, Gewalt – und wenn möglich Umsturz und Machtergreifung, um die Gesellschaft danach im eigenen Sinn umzubauen.
Statt "Wehret den Anfängen" muss deshalb endlich ein energisches "Schluss damit" kommen, wenn wir nicht eher früher als später lebensgefährliche Zustände wie im Amerika Trumps bekommen wollen. "Schluss damit" – angefangen bei Polizei und Justiz, denn die rechtliche Grundlage, um Online- und anderen Hass zu ahnden, ist vorhanden. "Schluss damit" – für diverse Politiker, die meinen, für Wählerstimmen mit den Extremisten kuscheln oder auf populistische Trittbretter aufspringen zu müssen. "Schluss damit" – für die Tech-Konzerne, die sich eifrig die Taschen mit Werbegeld füllen, aber so gut wie nichts unternehmen, um strafbare Hass-Inhalte zu verhindern oder zu entfernen. "Schluss damit" – auch für jeden einzelnen von uns, der dieser schrittweisen Zerstörung unserer Gesellschaft widerspruchs- und widerstandslos zusieht. Schluss damit.
Boris Schmidt
Guter Kommentar, der zum Nachdenken angeregt.Stellt sich die Frage, wie weit Toleranz gehen muss oder soll.Meiner Meinung nach reicht es aus, LGBTQIA-Menschen so zu akzeptieren, wie sie sind.Das muss man nicht an die große Glocke hängen.Manchmal habe ich den Eindruck, dass es genau umgekehrt ist wie vor 30 oder 40 Jahren.Daß LGBTQIA-Menschen die Normalen sind, und alle anderen gesellschaftliche Außenseiter.Es muss aufgepasst werden, dass das gesellschaftliche Gleichgewicht erhalten bleibt, nicht in Extreme ausartet.Für jeden Lebensentwurf muss Platz sein.Die Aufgabe des Staates ist es, dass jeder in Sicherheit leben kann.Mehr nicht.Der Staat sollte nicht Partei ergreifen für diese oder jene Gruppe.Dann wäre es genau wie früher als die katholische Religion Staatsreligion war und Katholiken bevorzugt wurden.
Genau aus diesem Grund lehne ich social media (NICHT zu übersetzen mit sozial) ab. Man erlaubt eine perfide Art der anonymen Hetze. Auch wenn man es "nur" für Freunde nutzt, man unterstützt dieses Medium und macht es mit groß. Ich bin ja auch kein Mitglied von rechtextremen Parteien und sage dann: ich hab aber nichts gegen Ausländer und diverse Menschengruppen.
Und Herr Scholzen, es gibt nicht den Gegensatz "Normal" und "Außenseiter", bereits so machen Sie wieder einen Unterschied. Und Sie wollen uns doch wohl nicht erzählen, dass Sie heute angegriffen, beschimpft und bespuckt werden, weil sie "normal" sind?
Werte Frau Van Straelen.
In jeder Gesellschaft gibt es Menschen, die ausgegrenzt werden. Momentan werden zum Beispiel Russen ausgegrenzt. Jeder Russe wird verdächtig, Putin und seine "Spezialoperation" zu unterstützen und für Russland zu spionieren.
Es gibt ein einfaches Rezept für Facebook und Co. Einfach nicht benutzen. Niemand ist gezwungen, da mit zu machen.