"Die Staatsschuld ist von alleine gekommen, sie wird auch von alleine wieder verschwinden". Ein Satz, einfach, prägnant und wohl deswegen scheinbar einleuchtend, der sich aber, wenn man auch nur mal für die Dauer eines Wimpernschlages darüber nachdenkt, als lupenreiner Quatsch und in der Konsequenz regelrecht fatal erweist. "Die Staatsschuld ist von alleine gekommen, sie wird auch von alleine wieder verschwinden", dieser Satz wurde tatsächlich ausgesprochen; von einem amtierenden Haushaltsminister noch dazu. Das legendäre Zitat stammt nämlich von Guy Mathot, dem wegen allerlei Skandalen und Skandälchen ebenso "legendären" PS-Politiker, der Anfang der 1980er Jahre unter dem Premierminister Wilfried Martens oberster Kassenwart war. Das war genau die Zeit, in der die belgische Staatsschuld schwindelnde Höhen erreichte, ein inzwischen fast sprichwörtlicher Schuldenberg, der - oh Wunder - natürlich nicht "von alleine wieder verschwunden ist".
Ist die heutige Politikergeneration im Moment dabei, eben diesen Fehler zu wiederholen? Die Frage ist berechtigt, schließlich wies Belgien im letzten Quartal 2022 "mal eben" das größte Haushaltsdefizit innerhalb der Eurozone auf. Wobei: Die Antwort auf diese Frage darf sich nicht auf Parolen beschränken, die ebenso plump und banal wären, wie das Mathot-Zitat.
Zuallererst darf man nicht vergessen, wo wir herkommen. Ums mal salopp auszudrücken: Wir haben in den letzten Jahren "Pferde kotzen" sehen, wissend, dass Pferde sich nicht übergeben können. Gefühlt mindestens seit Beginn der Finanzkrise vor 15 Jahren schlittert die Welt von einer Krise in die nächste, sind Dinge passiert, die nur ausgesprochene Pessimisten überhaupt für möglich gehalten hätten. Das wohl beste Beispiel ist die Corona-Pandemie, auf die dann gleich der erste Angriffskrieg auf europäischem Boden seit dem Zweiten Weltkrieg folgte, mit einer fast beispiellosen Inflation, wie die Welt sie seit knapp 50 Jahren nicht mehr erlebt hat.
Das war zweifelsohne zu viel Sand für das Getriebe der eng vernetzten und verschachtelten Welt, in der wir leben. Und es war richtig, dass - im vorliegenden Fall - der belgische Staat alles getan hat, um seine Bürger und Unternehmen vor den Auswirkungen der aufeinanderfolgenden Krisen zu schützen. Das Resultat kann sich im Übrigen auch sehen lassen. Die weltweit fast einmalige Lohn-Index-Bindung hat dafür gesorgt, dass die Kaufkraft der Bürger mehr oder weniger erhalten blieb. Wer jetzt empört aufschreien und widersprechen will, der sollte sich nur mal vor Augen führen, dass sich im Nachbarland Deutschland die Gewerkschaften eben diesen "Index-Ausgleich" gerade erstmal erstreiken müssen. Und die Wirtschaft hat dem Sturm ebenfalls standgehalten; auch dank staatlicher Hilfen. Eine massive Pleitewelle ist jedenfalls bislang ausgeblieben.
Das alles hat den Staat Geld gekostet. Ja! Aber dafür ist der Staat eben da. Dass das Haushaltsdefizit im Corona-Jahr 2020 auf astronomische zehn Prozent des Bruttoinlandsproduktes hochgeschnellt ist, nun, das war der Preis. Der Punkt ist: Nichts währt ewig. Das kann nicht endlos so weitergehen. Und irgendwann muss man sich - bei allem Verständnis für den schwierigen Kontext - eben dann doch die Frage stellen, ob die Regierungen des Landes hier nicht allzu (fahr)lässig und nonchalant agieren. Kurz und knapp: Man schafft es nicht, den Krisenmodus zu verlassen und bei der Gelegenheit dann auch haushaltspolitische Schadensbegrenzung zu betreiben, sprich: Die Staatsfinanzen wieder unter Kontrolle zu bringen.
Die Haushaltskontrolle in dieser Woche bestätigt diese Diagnose. Es wäre die Gelegenheit gewesen, den Gürtel enger zu schnallen, um das Haushaltsdefizit wieder zumindest in einen "orangen Bereich" zu bringen. Stattdessen "begnügt" man sich mit immer noch viel zu hohen 4,6 Prozent; Belgien wird im laufenden Jahr demnach 27 Milliarden Euro neue Schulden machen.
Und auch eine entschlossene Rentenreform lässt weiter auf sich warten, eine, die diesen Namen wirklich verdient. Oder will man wirklich warten, bis auch noch der letzte Babyboomer in den Ruhestand gegangen ist? Jene Generation, die trotz des längst bekannten demographischen Ungleichgewichts zumindest gesamtgesellschaftlich - also mit Blick auf das System - nicht ausreichend Vorsorge getroffen hat zur Finanzierung ihrer Rente. Generationengerechtigkeit mag in diesem Land bislang ein Fremdwort gewesen sein, nur geht's inzwischen um das Überleben des Systems. Das Problem wieder auf die Folgegeneration abzuwälzen, das wird nicht gehen.
Doch statt den Bürgern reinen Wein einzuschenken, schalten einige Parteien auf Durchzug. Warnungen von außen, sei es von der EU oder von anderen internationalen Institutionen, sei es von Ratingagenturen, werden einfach in den Wind geschlagen. "Wir machen Politik für die Bürger, nicht für die Finanzmärkte", das ist fast schon zum Leitmotiv insbesondere der PS aufgestiegen. Dazu nur so viel: Das haben die Griechen vor 15 Jahren auch gesagt.
Stillstand ist in jedem Fall keine Option. Und Reformen müssen doch hoffentlich nicht notwendigerweise immer zu Lasten der Schwächeren gehen. Wer Generationengerechtigkeit sagt, der wird etwa irgendwann endlich auch Steuergerechtigkeit sagen müssen.
Wenn wir nicht wollen, dass uns der Schuldenberg - wie schon in den 1980er Jahren mit dem ominösen Schneeball-Effekt - auf Dauer wieder erdrückt, dann muss jetzt gehandelt werden. Denn heute wissen wir: Die Staatsschuld verschwindet eben nicht von alleine.
Roger Pint
Was die Griechen hinter sich haben, haben die Belgier noch vor sich....
Man sollte nicht vergessen, dass die französische Revolution auch ausgebrochen ist wegen schlechter Staatsfinanzen.
Ein politisches System ist nur so gut, wie es Krisen bewältigen kann. Das gilt ohne Unterschied für Demokratie und Diktatur.
Eine richtige Reform würde bei allen Schmerzen verursachen, von ganz arm bis ganz reich! Es wäre aber der einzige Weg! Da unsere Volksvertreter aber nun mal ehrgeizige Berufspolitiker sind, die nur von einer Wahl zur nächsten stolpern, wird keiner der Bevölkerung die reine Wahrheit sagen, obwohl viele es zumindest schon erahnen... Eine Erneuerung würde nicht nur die Staatsfinanzen betreffen, sondern noch vieles mehr... Sozialleistungen, Arbeitszeiten, Energiepolitik, Klimaschutz, Wahlreform, usw... Das wird erst passieren, entweder friedlich oder gewaltsam, wenn wir alle und alles gegen die Wand gefahren wurden. Das ist kein Pessimismus, sondern die Realität !
Wahrscheinlich wird es erst dann zu wirklichen Reformen kommen, wenn es Druck von Außen gibt, dh an den Finanzmärkten, durch EU und andere internationale Organisationen.
Nur eines ist sicher, der Zahltag kommt. Stellt sich nur die Frage, wie bezahlt wird. Durch Steuern und Abgaben, Inflation und Vermögensverlust ?
Aber man sollte das ganze positiv sehen. Gerade in Zeiten schlechter Staatsfinanzen wurden Entscheidungen getroffen, die man sich vorher nicht vorstellen konnte. Während der französische Revolution wurde auch der Adel abgeschafft, was man sich vor 1789 nicht vorstellen konnte.