Das Bild machte kurz nach dem russischen Einmarsch die Runde: ein blaues Autobahnschild, auf dem Ukrainer kriegstaktisch alle Ortsnamen überklebt hatten, um die Angreifer zu verwirren. Stattdessen führten alle Richtungspfeile nach Den Haag, zum Internationalen Strafgerichtshof.
Das aber, mochte man meinen, ist für hinterher, wenn erst einmal das Schlachten aufgehört hat, das Heulen der Sirenen, die Einschläge der Geschosse, der Missbrauch und die Demütigungen. Für hinterher, für viel, viel später.
Wenig später machten die Bilder aus Butscha die Runde. Aus Irpin, Mykolajiw, Bachmut, Mariupol ... Klar, der Prozess muss strafrechtlich erst noch geführt werden. Für jeden klardenkenden Menschen steht aber außer Frage: Der größte Verbrecher sitzt im Kreml.
Nachdem der Aggressor und auch viele Beobachter am Anfang noch von einem "Blitzkrieg" der russischen Übermacht ausgegangen waren, hat die Wehrhaftigkeit der Ukrainer nicht nur Putin überrascht. Wir erinnern uns an die 13 Grenzschützer auf der Schlangeninsel, an russische Panzer, die von Traktoren abgeschleppt wurden.
Überraschen durfte in diesem Jahr auch die weitgehende Bereitschaft westlicher Gesellschaften zur Solidarität, zur Aufnahme von Flüchtlingen, zu Einschränkungen, auch wenn die nicht mit denen in der Ukraine zu vergleichen sind. Denn, ja, das ist auch unser Krieg!
Darum glauben wohl auch viele, ihn von uns aus beenden zu können. Genug gemordet. Jetzt sollen sich alle an einen Verhandlungstisch setzen. Wenn das so einfach wäre.
Putin jedenfalls ist nicht zu trauen. Das hat er mit dem von langer Hand eingefädelten Überfall bewiesen. Auch Chinas Initiative zu einer Waffenruhe ist mit Vorsicht zu genießen. Das Regime in Peking weiß nur zu genau, dass es über wirkungsvollere Hebel verfügt. Zuallererst könnte es die russische Aggression als völkerrechtswidrigen Angriffskrieg verurteilen.
Wer sind wir, von den überfallenen Ukrainern zu fordern, dass sie zu Zugeständnissen bereit sein sollen? Nach dem, was sie erlebt haben. Nicht erst seit einem Jahr. Denn Krieg herrscht dort, wie Ukrainer immer wieder in Erinnerung rufen, seit neun Jahren! Mit der Annexion der Krim war ja nicht ein Schlusspunkt gesetzt, sondern nur der Anfang gemacht.
Und wie, bitte schön, stellen sich die um Zugeständnisse Bemühten das Leben der Ukrainer in den besetzten oder annektierten Gebieten vor?
Mit Putin ist nicht zu verhandeln. Mehr noch als von dem eigenen verqueren Weltbild dürfte er von der Angst besessen sein, dass es ihm eines Tages an den Kragen geht wie anderen Despoten, wie Gaddafi. Da wäre das Haager Tribunal noch der gnädigere Ausweg.
Stephan Pesch
Im Gegensatz zu den oft naiven friedensbeseelten Initiativen, die jeglichen konkreten Hinweis vermissen lassen, wie man einen Despoten und Massenmörder zum Waffenstillstand und an den Verhandlungstisch bringt, ist eine an Realitäten ausgerichtete Meinung einfach nur wohltuend.
Stimmt, man kann Putin nicht trauen. Tricksen und Täuschen ist des politischen Geschäftes. Nicht nur in Russland.
Putin in Den Haag ? Das ist eine naive Wunschvorstellung.
Der Frieden wird in Moskau und Washington gemacht und nicht in Kiew oder Brüssel.