Vor genau zwei Jahren, am 6. Januar 2021, stürmten Randalierer gewaltsam und aus bekannten Gründen das Kapitol. Dort suchten sie unter anderem das Büro der Sprecherin des Repräsentantenhaus auf. Das Foto, auf dem ein Randalierer die Beine auf den Bürotisch legt und es sich dort gemütlich macht, erlangte schnell Bekanntheit.
Auch Kevin McCarthy hatte es sich schon gemütlich gemacht. Sein Büro als Sprecher des Repräsentantenhaus ist schon bezogen. Doch sein langjähriger Wunsch, das dritthöchste Amt der USA einzunehmen, eilt der Realität voraus. Denn gewählt ist McCarthy am 6. Januar 2023 immer noch nicht.
Macht, ob sie nun tatsächlich oder angeblich ist, fasziniert Menschen. Und genau darum geht es aktuell bei der Wahl eines neuen Sprechers des Repräsentantenhauses. Eigentlich eine Formalie. Im Repräsentantenhaus könnten die Republikaner dank eigener Mehrheit den Sprecher stellen. Doch einige machen da nicht mit. Extremrechte Abweichler innerhalb der Partei verweigern ihre Zustimmung. Sie wollen die Macht des Sprechers einschränken und sich selbst mehr Möglichkeiten verschaffen. Die Bedingungen, um den Sprecher des Repräsentantenhaus abzusetzen, sollen beispielsweise vereinfacht werden. Das hat Kevin McCarthy den Abweichlern in Verhandlungen sogar zugestanden. Genützt hat es ihm am Ende jedoch nichts.
Aktuell zeigt sich, wie verkeilt die US-Demokratie ist. Dass es soweit gekommen ist, eröffnet nun den extremen Abweichlern die Möglichkeit, sich als gut-meinende Reformer auszugeben. Der "politische Sumpf" soll trockengelegt werden. Davon müssen sich nun alle anderen Abgeordneten treiben lassen.
Die US-amerikanische Demokratie ist mit Sicherheit keine Vorzeigedemokratie. Namhafte Politikwissenschaftler und Ökonomen bezeugen ihr inzwischen oligarchische Züge. Sie ist mit Sicherheit reformwürdig. Dass Demokraten in diesem Kontext damit stolzieren, sich das republikanische Selbstzerfleischungsspektakel mit einer Tüte Popcorn anzuschauen, ist die falsche Reaktion. Genau wie Schadenfreude darüber, dass die Amerikaner nun das bekämen, was sie verdient haben. Was aktuell passiert, sollte eine Warnung sein.
Auch innerhalb der belgischen Demokratie besteht die Möglichkeit, dass die vielen Zahnräder irgendwann nicht mehr ineinander greifen, sondern sich verkeilen. Extrem linke und extrem rechte Parteien erfreuen sich steigender Umfragewerte. Das schränkt wiederum Koalitionsmöglichkeiten ein. Am Ende werden Zweckbündnisse geschlossen, die nicht mehr für etwas stehen, sondern nur noch eine Reaktion gegen etwas sind.
Solch ein polarisierendes Blocksystem ist die Basis für Tabubrüche und sich verschiebende Diskurse. Dann kann man nur noch reagieren. Und von Rechten besetzte Themen für sich zu beanspruchen und zurückzugewinnen - daran scheitern Politiker regelmäßig. Das aktuelle Beispiel USA zeigt, dass man sich in der Themensetzung oder bei Reformvorhaben nicht von extremen Akteuren treiben lassen darf. Stattdessen gilt es, die Demokratie um ihretwillen zu erhalten. Dazu braucht es ein solides und durchdachtes Staatsgefüge, das nicht dem Machterhalt sondern dem Demokratieerhalt dient - auch in Belgien. Von daher der Aufruf, jetzt das anzupacken, was sich vielleicht erst in Zukunft als richtig erweist.
Andreas Lejeune
Guter Kommentar. Aber auch eine Analyse, wie Demokratie sich selbst anschafft.
Nur hätte der Kommentator auch mal die Frage aufwerfen sollen, warum beiderseits des großen Teiches die Radikalen immer mehr an Einfluss gewinnen.Über diese Frage wird der Mantel des Schweigens gelegt.Es ist der Vertrauensverlust in die traditionellen Parteien.Die sind farblos und abgewirtschaftet.Verlieren immer mehr die Eigenschaft, Probleme zu lösen. Wichtiger sind eigene Standpunkte und gut bezahlte Posten.