Seien wir ehrlich. Gehen wir etwas zurück, gibt es noch weitere Krisen aufzuzählen: Finanzkrise, Eurokrise, Flüchtlingskrise - nicht zu vergessen die unzähligen belgischen Regierungskrisen. Und doch war keine dieser Krisen so nah und direkt wie die Corona-Krise. Keine andere Krise forderte so unmittelbare und einschneidende Beschränkungen.
"Wir müssen die Krise als Chance nutzen", hieß es da. Wohl auch um den Blick weg von den Einschränkungen hin zum Machbaren zu lenken. Doch von welcher Chance war da eigentlich die Rede? Und auf wen traf das überhaupt zu? Auf den Schüler, der zuhause vom Homeschooling überrumpelt war? Auf die alleinerziehende Pflegekraft, die Überstunden schieben musste? Oder doch auf den Papierlosen, der von existenziellen Unsicherheiten umgeben war? Schnell wurde klar: Chancen sind ein ungleich verteiltes Gut, auf das bei weitem nicht jeder Zugriff hat.
Also wurde der Tonfall geändert. "Wir müssen die richtigen Lehren aus der Krise ziehen." Das war und ist nötig. Denn inzwischen sieht man: Soziale, ökonomische und politische Gräben werden größer. Die Corona-Krise als Katalysator, als Beschleuniger. Nicht als Verursacher wohlgemerkt.
Vor einem Monat brachte das Hochwasser Chaos in die Region. Es sorgte für Zerstörung, Tote und Aufgaben, deren Aufarbeitung Jahre dauern wird. Auch hier setzte die Politik sich zum Ziel, die richtigen Lehren aus der Krise zu ziehen. Währenddessen: unzählige Helfer, aus allen Landesteilen, Spendeninitiativen und Unterstützung.
Und in dieser Woche verlieh der Klimabericht der Vereinten Nationen den Bildern von überfluteten Dörfern, schmelzenden Gletschern und brennenden Wäldern dann noch einmal Nachdruck. Wir befinden uns mitten in der nächsten Krise.
Und wie reagiert die Politik? Wenige Tage nach den Überschwemmungen war genau das das Thema im Parlament der Deutschsprachigen Gemeinschaft. Ohne große Umwege kamen die Fraktionen vom Hochwasser auf die Wichtigkeit der Raumordnungskompetenz zu sprechen. Die sei essentiell, um sich auf zukünftige Wetterextreme einzustellen. Technisch vielleicht korrekt. Aber ohne jegliches Feingefühl. Und auf internationaler Ebene: Alarmstimmung, Empörung, halbernstgemeinte Verwunderung, wie es doch so weit kommen konnte. Australien prescht vor und möchte erst einmal nichts an seiner Klimapolitik ändern, sondern weiter Kohle exportieren. Grüße gehen raus an den ehemaligen australischen Finanzminister Mathias Cormann. Der wollte als neuer Vorsitzender der OECD Vorreiter in Sachen Klimaschutz werden. Eine bessere Gelegenheit dazu wird es nicht mehr geben. Sieht es also so aus, wenn man die Krise als Chance begreift?
Wir müssen uns auf extreme Wetterphänomene vorbereiten. Wir müssen unseren CO2-Ausstoß reduzieren. Vor allem müssen wir die in die Pflicht nehmen, die so tun als würde sie Klimaschutz interessieren - und dabei weitermachen, wie bisher. Wir müssen langfristig und nachhaltig denken. Kurz: Wir müssen endlich die richtigen Lehren aus der Krise ziehen. Noch kürzer: das anders machen, was wir in den letzten Jahren falsch gemacht haben.
Eine Krise kann auseinander treiben. Das hat der Umgang mit Corona gezeigt. Eine Krise kann aber auch zusammenbringen - es reicht, wenn wir uns dazu die Solidarität nach den Hochwassern anschauen. Das ist das Positive und daran sollten wir uns aufbauen. Was allerdings sicher ist: Eine Krise trifft nicht jeden gleich. Sie verstärkt Ungleichheiten. Sie bietet nicht jedem die Möglichkeit, Lehren zu ziehen oder eine Chance zu nutzen. In dieser privilegierten Position sind in erster Linie die, die in der Verantwortung stehen. Und das sind zuallererst nun mal Politik und Wirtschaft. Die müssen dieses Privileg ernst nehmen. Alleine schon aus Respekt denen gegenüber, die aufgrund diverser Benachteiligungen kein Recht auf Mitsprache und Beteiligung haben.
Andreas Lejeune