Zurück in die Natur - das scheint das Motto des Jahres 2020 und 2021 zu sein. Corona lässt grüßen. Und tatsächlich: Immer mehr Menschen wagen sich in letzter Zeit an die frische Luft.
Beim Spaziergang durch den Wald trifft man Sportler, die ihren Neujahrsvorsätzen hinterherlaufen. Auf dem Ravel braucht es bald orangefarbene, verkehrsberuhigende Blumentöpfe, um die E-Bike-Horden zu drosseln. Und im Venn stößt wahrscheinlich gerade jemand ein Kind um. Was macht der Weg in die Natur doch Spaß. Und dann kommt der Schnee. "Was könnte man da wohl machen?", hat sich in letzter Zeit der ein oder andere gefragt. Kurz nachgedacht, besser noch: gar nicht nachgedacht. Die Allwetterreifen sind seit vorletztem Herbst schon aufgezogen: Dem Tagesausflug ins Hohe Venn steht nichts mehr im Wege.
Wo sich dem Pendler aus der Eifel sonst öde weiße Baumreihen an den Straßenseiten auftun, schmücken nun dicht aneinander gereihte Autos das Landschaftsbild. Die sonst monoton daherkommende schneeweiße Landschaft wird von schwarz-gelben, schwarz-weißen oder rot-weißen Nummernschildern geschmückt. Der Schnee verfärbt sich von einem glitzernden Weiß hin in ein matschiges Grau. Und auf die Besucher wirkt die Ungestörtheit der Natur sofort: Völlig losgelöst von dem belastenden Corona-Stress träumen unzählige Touristen auf der Hauptverkehrsstraße vor sich her und springen zwischen Autos hervor: Achtung, ich komme! Der Geheimtipp Hohes Venn verbreitet sich schneller als die Corona-Pandemie und der Geheimtipp unter den Geheimtipps, nämlich die vielbefahrene N68 entlangzuwandern, ist auch im Januar 2021 wieder das absolute Highlight.
Auf anliegenden Feldern bauen Familienväter mit ihren Kindern liebevoll Schneemänner. Dutzende, ach was, hunderte Schneemänner stehen da dicht an dicht. So viel konzentrierte Anstrengung bei der Bekämpfung des Virus und die Pandemie wäre in zwei Wochen besiegt. Doch auch hier machen einige wenige das kaputt, was andere aufbauen - Schneemänner werden brutal zerstört. Die Touristen, die besonders gut vorbereitet sind, haben sogar Schlitten dabei und schubsen ihre Kinder die Böschungen hinunter. In Lockdown-Zeiten wohl die billigste Art, um den eigenen Lagerkoller zu therapieren. Noch schnell ein Foto für Instagram machen, am besten von einem Motiv, das so schon jeder vorher unzählige Male auf Instagram gesehen hat - und der Ausflug ins Hohe Venn ist perfekt.
Wer jetzt denkt, ich wolle dem gemeinen Venntouristen nur reines Eigeninteresse unterstellen, der täuscht sich. Auch geschichtsinteressiert ist der Besucher. Die Geschichte um das verlobte Paar, das im Venn ums Leben kam, jährt sich diese Woche zum 150. Mal. Pünktlich zu diesem Anlass lassen sich zwei österreichische Aktionskünstler in einer Nacht- und Nebelaktion geschichtsträchtig von 35 Beamten aus dem verschneiten Venn retten und erinnern so an die Tücken, die das zum Freizeitpark erhobene Naturschutzgebiet dann doch gelegentlich bietet. Weitere Nachahmer folgen - sehr zur Freude der Rettungskräfte. "Immer diese Touristen", denkt sich da der Ostbelgier zu Recht beim Planen seines nächsten Ski-Urlaubs.
Und die Gemeinden? Die reagieren völlig überrumpelt. Unabgesprochen und unaufgeregt wundern sich die Lokalpolitiker über das vollkommen "neuartige Phänomen des Massentourismus". Hat da jemand Provinz gesagt? Nein, hat niemand, und trotzdem Gelegenheit genug für den Provinzgouverneur, an seine eigene Existenz zu erinnern. Die Zufahrtsstraßen werden geschlossen. Darauf reagierte wiederum die Gemeinde Eupen, die nun Zufahrtsstraßen zu den Zufahrtsstraßen sperrt und sich öffentlichkeitswirksam echauffiert, warum die Wallonen wieder ihr eigenes unabgesprochenes Ding machen.
Doch es dauert nicht allzu lange und die gewohnten Reflexe setzen wieder ein. Die Arbeitsgruppe, das bekanntlich effizienteste Werkzeug der politischen Problemlösung, wird ins Leben gerufen. Und die soll sich nun bitte Gedanken über das grassierende Virus "Massentourismus" machen, um dann, irgendwann, Vorschläge für einen Massentourismus-Lockdown zu unterbreiten. Ein Problem, mit dem die Region nicht alleine da steht. Auf deutscher Seite, im Nationalpark Eifel, hat man festgestellt, dass die 1,3 Millionen Besucher im Jahr 2020 für die Natur kein Segen sind. Aktuell dürfen die Naturschutzgebiete aufatmen. Mit dem Schnee sind auch die meisten Touristen verschwunden. Zumindest vorerst. Hinterlassen haben sie Einwegmasken und Müll.
Der Weg in die Natur ist wieder wichtig geworden. Die gute Nachricht zuerst: Findet der Mensch einen Weg hinein, so findet er auch wieder einen heraus - meist alleine, wenn nötig mit Unterstützung. Doch nicht der Weg ist das Besondere, es ist die Natur an sich. Viele haben die in den letzten Wochen nicht wertgeschätzt. Wenn auf dem Weg in die Natur eben jene übersehen und kaputt getrampelt wird, dann erübrigt sich bald auch der Weg dorthin.
Andreas Lejeune
So sind wir nun mal wie Menschtiere - erfindungsreich und doch im Grunde Primaten geblieben....
Vielleicht schickt Mutter Natur uns in Zukunft noch mal einen weiteren kleinen "Gruß ", der da anfängt aufzuräumen wo wir ihr am meisten getreten haben.
Was soll das denn sein , Herr Lejeune ?
Ein Kommentar jedenfalls nicht, eine miserable Glosse allenfalls. Der bewusst verunglückte Satz "So viel konzentrierte Anstrengung bei der Bekämpfung des Virus und die Pandemie wäre in zwei Wochen besiegt" lässt tief blicken. Das finde ich persönlich mehr als befremdlich, aber die Gedanken sind ja bekanntlich frei.
Ein Tourismusforscher hat es einmal auf den Punkt gebracht:
„Die Touristen zerstören das, was sie suchen, indem sie es finden.“
Bravo Herr Lejeune! Sie treffen den nagel auf den Kopf!
Herr Michels: auf Französich sagt man "Il n'y a que la vérité qui blesse"!