"Und was denkst du?" Herausfordernd steht der Schlusssatz am Ende eines Meinungsbeitrages von Isabelle Weykmans, der überschrieben ist mit "Religion und Schule?". Wobei es ihr wohl vor allem auf das Fragezeichen hinter Religion und Schule ankommt. Schon gar keiner "göttlichen Eingebung" folgend, sondern aus der persönlichen Erfahrung als Mutter.
Ganz so unschuldig ist es aber dann auch nicht. Die Begleit-Mail aus ihrem Kabinett erklärt mit entwaffnender Offenheit, dass es sich um den Auftakt zu einer Initiativreihe der PFF handelt. Nach dem erschütternden Wahlergebnis vom Mai 2019 hatten die ostbelgischen Liberalen sich geschworen, "sichtbarer" werden zu wollen. Und lassen seitdem keine Gelegenheit aus. "Wir ändern die Richtung!" schreibt die Ministerin auf ihrer Webseite.
Dass sie damit ihren Kollegen Mollers wie einen begossenen Pudel dastehen lässt, ist das eine. Regierungsinterne Küche sozusagen. Das andere ist, welche Erwartungen sie damit weckt. Es ist gut, dass über das Thema offen und ausführlich diskutiert wird. Auch wenn die in der Debatte ausgetauschten Argumente zum Teil haarsträubend und hanebüchen sind. Und dann? Was kommt nach der Debatte?
Der Unterrichtsminister sah sich bemüßigt, noch am selben Tag darauf hinzuweisen, dass die Deutschsprachige Gemeinschaft aufgrund der in der belgischen Verfassung eingeräumten Bürgerrechte selbst in ihren eigenen Schulen nicht in den Religionsunterricht eingreifen kann. Ganz zu schweigen vom freien, konfessionellen Schulwesen. Gewährleisten muss sie allein "die Wahl zwischen dem Unterricht in einer der anerkannten Religionen und demjenigen in nicht-konfessioneller Sittenlehre".
Das hat vor vier, fünf Jahren in der Französischen Gemeinschaft eine ungeheuer intensiv geführte Debatte ausgelöst. Dabei ging es nicht um die Wahl zwischen Religions- oder Ethikunterricht, sondern darum welche Alternative den Schülern laut Verfassungsgerichtshof angeboten werden muss, die oder besser gesagt: deren Eltern sich weder für das eine noch das andere entscheiden. Diese pädagogisch begleitete Alternative heißt offiziell: "Encadrement pédagogique alternatif" - im Volksmund wurde daraus schnell ein unschmeichelhaftes "Cours de rien". Hauptstreitpunkt war nämlich, was darin unterrichtet werden soll. Und vor allen Dingen von wem? Und, das ist kein Witz, die Antwort lautete: von Religionslehrern!
Aber entscheidend ist der erste Punkt: Es kommt darauf an, was und wie gegeben wird. Ich kann mich zum Beispiel an einen Religionsunterricht erinnern, in dem ein Priester uns zum ersten Mal mit Philosophen wie Kant, Nietzsche oder Feuerbach vertraut gemacht hat.
Natürlich sollte die Schule auch auf praktische Fragen des Lebens vorbereiten, wie Mietverträge oder Steuerbescheide. Da fallen mir noch ein paar andere Dinge ein. Die Frage ist nur, wo, wann und wie. Es müssen ja nicht gleich die Angestellten einer ausgesuchten Bank vorbeikommen.
Immerhin hat die angeregte Debatte eines gezeigt: Seit der Aufregung um die schulschwänzende Greta hat kaum ein Thema die Ostbelgier so bewegt wie die Gretchenfrage aus dem Schulklassiker Faust. Wie ging das noch gleich? Genau, Gretchen fragt Faust in einer Szene: "Nun sag', wie hast du‘s mit der Religion?" Bei Isabelle Weykmans klingt es halt nur ein bisschen zeitgemäßer: "Und was denkst du?"
Stephan Pesch
Die Gretchenfrage ist die Frage Margaretes an den Wissenschaftler Faust in Goethes Drama. Er umwirbt sie und Grete zweifelt an der Seriosität des Werbers. Wie wir wissen, zu Recht, weil Faust sich auf einen Deal mit dem Teufel eingelassen hat. Die moderne Fassung (ohne Religion!) finden wir übrigens bei Meatloaf: „Paradise by the Dashboard light“. Eines meiner liebsten Stücke der Rockmusik.
Goethe will Stelle zwei Religionsmuster gegeneinandersetzen: das naive der Grete wird konfrontiert mit dem durch den Wissenschaftler Faust repräsentierte vernunftgeleitete Anfragen an die Religion.
Frau Weykmans ist nicht Gretchen, noch nimmt sie die Position des Wissenschaftlers ein. Sie stellt nicht die Frage nach der Bedeutung der Religion. Das aber ist die Frage, nicht die nach dem Religionsunterricht, das eine ergibt sich aus dem anderen. Religion hat eine zentrale Rolle. Die Weltreligionen müssen dieser Aufgabe gerecht werden. Hier hat nicht nur in Ostbelgien die katholische Kirche erheblichen Nachholbedarf.
Es wird immer gefährlich, wenn wir Glaube und Vernunft auseinander reißen. Vernunft ohne Glauben ist kalt und zynisch und lässt uns in entscheidenden Fragen des Lebens allein. Und Glaube ohne Vernunft kann fanatisch und menschenverachtend werden. Deshalb sage ich erstmal auf die Frage: Glaubst du noch oder denkst du schon? – Ja, ich glaube u n d ich denke.
Lasst euch das Denken, auch das kritische Denken, nicht verbieten. Stellt die Fragen, die euch zum Glauben kommen. Nehmt die Gegenargumente ernst, die andere euch gegen den Glauben sagen. Menschen, die auf Gott vertrauen, brauchen keine Angst vor dem Denken zu haben!
Herr Wilmes,
mal überspitzt gefragt:
Nur wer gläubig ist kann ein wirklich guter Mensch sein? Sonst enden wir noch als kalte Zyniker?
Ach ja, dann wieder mal die entscheidenden Fragen des Lebens.
Das ist doch, mit Verlaub, nur hohles Gerede.
Wir brauchen Ethik, Moral und vor allem Empathie. Das geht auch ganz ohne Glauben, oftmals sogar besser.
Als kath. Kind in den 50ern MUSSTE ich glauben, dass der Mensch nicht vom Affen abstammt ( also die Evolutionstheorie leugnen) Galileo MUSSTE behaupten, dass die Erde eine Scheibe ist, Juden MÜSSEN glauben, dass es erst seit gut 6000 Jahren Menschen gibt. Religionen sind eine Einrichtung der Macht und des Gehorsams, nicht des Denkens. Man kann aus reinem Verstand heraus entscheiden, dass man nicht morden darf, da muss man keine Institution erfinden, die es uns verbietet, es aber selbst millionenfach tat.
Glaube und Vernunft sagt, ich steige in den Zug ohne zu fragen ob der Lokführer einen Führerschein hat! Diese Bildsprache kann man in einer Eltern Kind Beziehung anwenden!
Der Glaube ist ein überzeugt sein von Dingen die man eben nicht sieht, oder fragen sie jedesmal den Lokführer vorher nach seinem Führerschein?
Was sie mit ihrer Argumentation tun, ist es den Leuten das Wort im Mund zu verdrehen!
Religion ist Privatsache? Ich möchte diese Behauptung bezweifeln. Ja mehr noch: ich erkenne in ihr eine Gefahr!
Wird Religion allein im Bereich des Privaten verortet, droht ihr öffentlicher Sprachverlust. Denn wer nicht mehr an der Öffentlichkeit teilnimmt, verliert an gesellschaftlicher Wahrnehmbarkeit. Der Staat ist also gut beraten, dass sich die Vielfalt religiösen Lebens, auch in den von ihm geschaffenen und unterhaltenen Einrichtungen wiederfinden kann. Religionsunterricht arbeitet an der kritischen Sprachfähigkeit jedes einzelnen jungen Menschen. Diese ist ihm ein großes Anliegen. Wer – auch und gerade in der Schule und hier besonders im Religionsunterricht - nicht gelernt hat, verbal zu argumentieren, läuft am Ende Gefahr, zu „schlagenden“ Argumenten zu greifen!
Religionsunterricht hat die Freiheit und Mündigkeit junger Menschen zum Ziel, nicht die Interessen von Religionsgemeinschaften! Für dieses Ziel setze ich mich als Religionslehrer mit meiner ganzen Kraft ein.
Herr Wilmes, wenn Sie schon solche Vorlagen bieten, selber Schuld.
Zum Lokführer:
Ob der Führerschein des Lokführers nun wirklich existiert oder nicht, läßt sich aber nunmal recht einfach überprüfen, oder?
Wie wäre es einfach mit besseren Argumenten?
Nein, Herr Deller, Frau Weykmans nimmt nicht die Position der Wissenschaftlerin ein, sondern der verantwortungsbewussten Politikerin, die sich u.a. mit der Frage zu beschäftigen hat, ob die Organisation des nach Konfessionen getrennten Bekenntnis-Religionsunterrichtes, organisatorisch noch zu stemmen ist und den gesellschaftlichen Realitäten und Erfordernissen im 21. Jahrhundert noch gerecht wird.
Wer behauptet, die Religion spielen in einer aufgeklärten Gesellschaft noch „eine zentrale Rolle“ ist wohl irgendwo im 19. Jahrhundert verhaftet geblieben.
Ein verantwortungsbewusster Politiker sollte - in Zeiten, in denen Politiker sich am liebsten nur noch mit sich selbst beschäftigen - auch prüfen, ob eine vom Geiste her laizistische belgische Verfassung nicht ihrer Zielsetzung wieder ein Stück näher gebracht werden sollte.
Die Grundlagen des „Schulpaktes“ von 1958 wirken mittlerweile wie aus der Zeit gefallen und bedürfen einer Anpassung.
Die Frage nach der „Rolle der Religion“ sollte jeder für sich beantworten.
Eine positive gesellschaftliche Rolle spielt sie längst nicht mehr.
Herr Bertermann, in wiefern hat "Religionsunterricht die Freiheit und Mündigkeit junger Menschen zum Ziel", wenn alle Religionen nur eine einzige Wahrheit kennen, ein Dogma, nämich das "Wort Gottes"?
Hallo, lieber Herr Hezel,
ich will gern eine Antwort auf Ihre Frage versuchen:
"Zur Freiheit hat uns Christus befreit..." (Gal. 5,1): Die Christenheit – besonders in ihrer protestantischen Ausprägung - hat als Religion lange und intensiv mit der Aufklärung gerungen und sich dabei verändert. Seitdem gehört die Achtung der Mündigkeit grundlegend zu einer guten Religion. Zugleich hat sich auch der Staat von Ansprüchen gelöst, das Leben der Bürger weltanschaulich vorgeben zu wollen. Stattdessen garantiert er jeder Religion einen Ort im öffentlichen Diskurs. Weder staatliche Autorität, noch Machtansprüche der Religionsgemeinschaften können heute die Vielfalt religiöser Wirklichkeit in der Gesellschaft bestimmen. Auf diese Situation antwortet der Staat mit dem religiösen Neutralitätsgebot und der Achtung vor der in der Mündigkeit und Freiheit der Person liegenden Überzeugung, Religion oder Weltanschauung des einzelnen Menschen. Freiheit/Mündigkeit bilden also die Voraussetzung der Möglichkeit guter Religion.
@Herrn Bertermann
Verbal argumentieren ? Mündigkeit junger Menschen ? Das wäre ja ganz was Neues. Glauben, was andere einem vorschreiben paßt da schon eher, zumindest als Katholik (oder sind Sie Protestant ?) hat man die Antworten des Katechismus auswendig zu lernen und nicht zu hinterfragen.