Belgien steckt in der Falle. Genauer gesagt: Die belgische Politik steckt in der Falle. Es ist eine gemeine Falle, die sich vielleicht nicht sofort, aber auf Dauer als tödlich erweisen kann. Diese Falle hat einen Namen: Populismus. Das Schlimme ist: Diese Falle hat in den beiden großen Landesteilen jeweils unterschiedliche Farben, was die Zentrifugalkräfte plötzlich nochmal exponentiell stärker macht.
In Flandern ist eine Ära des Rechtspopulismus angebrochen. Die N-VA hatte sich schon langsam dorthin bewegt. Der Nationalismus der N-VA trägt spätestens seit der Kommunalwahlen 2018 zunehmend identitäre Züge: kulturelle Einigelung, was immer auch mit Ausgrenzung reimt. Vielleicht nicht die Partei selbst, aber zumindest einige Spitzenkräfte der N-VA flirten zudem ganz klar mit rechtsextremem Gedankengut. Gemeint ist in erster Linie Theo Francken.
Nur war diese Nische schon besetzt. In der extremrechten Ecke lauerte der Vlaams Belang. Und, ob die N-VA es jetzt wahrhaben will oder nicht, aber indem N-VA-Leute wie Francken auf der Klaviatur des Belang gespielt haben, wurde das Original wieder zum Leben erweckt. Mehr noch: Das Gedankengut wurde plötzlich scheinbar salonfähig.
Scheinbar. Denn inzwischen scheint man in Flandern wachgeworden zu sein. Jetzt sorgen im Grunde bekannte Ideen oder Aussagen von Vlaams-Belang-Politikern plötzlich für Empörung. Und auch der von den Medien bislang so verhätschelte und umworbene Theo Francken erntet auf einmal ungewohnt deutliche Kritik. Aber dafür ist es jetzt zu spät. Diese Geister wird man nicht mehr los.
Dafür gab es in dieser Woche ein ebenso vielsagendes wie schockierendes Beispiel. Da wurden plötzlich sechs Kinder zu einer ernsten Bedrohung für die Nationale Sicherheit. Sechs Minderjährige, die Belgien aus syrischen Gefangenenlagern heimgeholt hat. Zugegeben, sechs Kinder von Dschihadisten. Aber erstens macht das doch nicht die Kinder zu Terroristen. Und zweitens: Schaut man genauer hin, dann handelt es sich um vier Vollwaisen und zwei Kinder, die von einem Elternteil nach Syrien entführt worden waren.
Und doch verurteilten Theo Francken und auch der Vlaams Belang die Entscheidung, diese Kinder nach Belgien zurückzuholen. Denkt man deren Gedanken zu Ende, dann wäre es also besser, wenn der Staat Kinder mit belgischem Pass in syrischen Lagern krepieren lassen würde. Auch hier drohen sich Grenzen zu verschieben.
Diese ganze Problematik ist im Übrigen nur so durchsetzt von Heuchelei. Sind es nicht Leute wie Theo Francken, die straffällig gewordene Ausländer umgehend in ihre Heimatländer abschieben wollen? Müsste das nicht im Umkehrschluss auf für Belgier gelten? Müsste Belgien nicht seine Syrienkämpfer demzufolge auch wieder zurücknehmen? Aber um diese Belgier sollten sich bitte die Kurden in Syrien kümmern.
Das nur um zu sagen: Die belgischen Syrienkämpfer sind ein belgisches Problem. Und die Kinder erst recht. Aber Fakten zählen wohl nicht mehr. Ab jetzt bestimmt das Bauchgefühl von Theo Francken und von Leuten rechts von ihm den politischen Diskurs. Bewusste Panikmache. Angst, und damit reine Emotionen als neuer politischer Leitfaden. Lesbar erschrocken fragte sich schon der Leitartikler von Het Laatste Nieuws, inwieweit sich die Gesellschaft insgesamt auf Dauer diesem rechten Weltbild beugen muss.
Kleine Kammer dazu: Die flämische Presse erinnert hier stark an Goethes Zauberlehrling. Denn viele der Geister, derer man sich jetzt bewusst zu werden scheint, die hat man vielleicht nicht gerufen, aber letztlich doch durch eine ebenso naive wie übertriebene Aufmerksamkeit groß gemacht.
Das ist aber nicht nur ein flämisches, sondern auch ein belgisches Problem. Aus einer Mischung aus reinem Zynismus und pragmatischer Dreistigkeit heraus versucht die N-VA bekanntlich, ihre mit dem Aufstieg des Belang verbundene Niederlage umzumünzen in einen Sieg für den flämischen Nationalismus. Und tatsächlich ist Bart De Wever jetzt, ohne eigenes Zutun, "endlich" in der von ihm langersehnten Position, die föderale Ebene austrocknen lassen zu können.
Der belgische Kompromiss, der ja letztlich der Mörtel des Landes ist, der setzt nämlich voraus, dass der Wille da ist, beziehungsweise zumindest die Notwendigkeit gesehen wird, sich zu einigen. Jemand wie De Wever sieht diese Notwendigkeit nicht; im Gegenteil: Es ist letztlich nur in seinem Sinne, wenn scheinbar der Beweis erbracht wird, dass das Land nicht mehr regierbar ist. Nach dem Motto: "Schaut mal! Ich habe es doch immer gesagt."
Und die Wahrscheinlichkeit, dass sich das ändern könnte, die geht gegen Null. Mit dem heißen Atem des Vlaams Belang im Nacken hat die N-VA "erst recht" kein Interesse daran, hier irgendwelche Kompromisse zu machen. Und in diesem Punkt ist die Situation vergleichbar mit dem frankophonen Landesteil.
Im Süden gehören zwar nicht rechtsextreme, aber eben auch Populisten zu den Wahlgewinnern. Die linksextreme PTB setzt den politischen Kessel ebenfalls unter Druck. Die PS kann zu dem Schluss kommen, dass sie den Angriff von links nur parieren kann, wenn sie eine wirklich klar linke Politik führt. Deswegen auch die sichtbaren Bauchschmerzen jetzt, wo sich abzuzeichnen scheint, dass man ohne die Liberalen wohl in der Wallonie nur schwerlich regieren kann. Und, wenn man die MR in Namur mit ins Boot holen muss, dann heißt das wohl automatisch, dass man auf der föderalen Ebene unmöglich mit der doch sehr wirtschaftsliberalen N-VA eine Koalition bilden kann.
Für Flandern und die Wallonie gilt also letztlich die gleiche Analyse: Die Populistenfalle droht zuzuschnappen. Die Gefahr ist groß, dass von Natur aus kompromisslose Populisten am Ende die Agenda direkt oder indirekt maßgeblich bestimmen. Und dadurch sorgen sie dafür, dass Kompromisse zunehmend unmöglich werden - und Kompromisse sind die Essenz der Demokratie. Und ein handlungsunfähig gewordenes System, das macht seine Gegner nur stärker. Die EU ist dafür auch ein tragisches Beispiel.
Denn die Diagnose an sich ist nicht belgienspezifisch. In der gesamten westlichen Welt steht die Mitte, stehen die Volksparteien unter Druck. In einem Land wie Belgien allerdings, wann man dann auch noch Rechtspopulisten in Flandern und Linkspopulisten in der Wallonie hat, da können die ohnehin bestehenden Fliehkräfte aber dann doch irgendwann so stark werden, dass sie das Land zerreißen.
Roger Pint
... und der BRF leidet an Grünfieber. Aus ideologischen Gründen wird einer Diskussion aus dem Weg gegangen.
Guter Kommentar Herr Pint. Demokratie basiert auf Kompromissen und Interessensausgleich der verschiedene gesellschaftlichen Gruppen. Theoretisch zumindest. In den letzten 30 Jahren ist das Ungleichgewicht in der Gesellschaft aber groesser geworden. Deswegen kann man durchaus von einer Schwaechung der Demokratie sprechen. Zum Beispiel in Belgien haben die grossen Vermoegen von Steuervorteilen profitiert, waehrend der Mittelstaendler und die Arbeitnehmer immer mehr belastet wurden. Ausserdem haben Postenjaeger aller Parteien von der Regionalisierung foederaler Kompetenzen profitiert. Die Verwaltungen sind nachweislich groesser geworden.
Nicht nur rechte und linke Populisten sind ein Problem sondern auch anti-demokratische Stroemungen in den traditionnellen Parteien. Nur ein Mehr an echter direkter Demokratie kann das der Ausweg sein. Aber bevor es soweit ist, muessen wir sicher wieder durch ein Jammertaal gehen wie so oft in der Vergangenheit.
Ich bin überzeugt dass nur eine Minderheit PTB oder Vlaams Belang aus Überzeugung gewählt haben... Aber was sollte man denn auch wählen???? Ich habe keine Lust Politiker zu wählen die nur an Macht und Geld interessiert sind!!!!!