Es ist interessant, festzustellen, wie unterschiedlich der Erste Weltkrieg heutzutage "erinnert" wird - so heißt das mittlerweile in jeder Talkshow, die etwas auf sich hält. Besonders im Grenzland, wo die Unterschiede viel offenkundiger sind, als gerade vor diesem historischen Einschnitt, wie Herbert Ruland in seinem Buch über "Der Erste Weltkrieg und die Menschen im Vierländerland" ausführt.
Und gäbe es nicht die runde Zahl zum Jubiläum, würde wohl auch nicht so viel Aufhebens darum gemacht. Nun fällt der 11.11. diesmal ausgerechnet auf einen Sonntag. Ansonsten wäre der Gesetzliche Feiertag für die Ostbelgier in allererster Linie ein Anlass, um nach Aachen zu fahren zum Shopping oder nach Luxemburg zum Tanken. Um in Köln oder in KeNeHeMo Karneval zu feiern. Oder beim Hubertusmarkt in Amel Erbsensuppe zu essen.
Nur für einige wenige Würdenträger ist der Waffenstillstandstag noch eine jährliche Pflichtveranstaltung zur Kranzniederlegung am Kriegerdenkmal. Um der Opfer zu gedenken. Und weil das schon immer so war. Gott sei Dank hat man sich mittlerweile entfernt von dem alten Sieger-und-Besiegte-Denken, wie es beispielsweise in Dolhain symbolischen Ausdruck fand durch einen gallischen Hahn, der auf einem deutschen Stahlhelm triumphiert. Und das als Revanchismus zu noch viel schlimmeren Folgen führte. Wobei die Ursachen - vorangegangene Gräueltaten - nicht ignoriert werden dürfen.
Nur führt kein Weg an der Feststellung vorbei, dass wir zwar noch eine gewisse zeitliche Nähe haben zu dieser "Grande Guerre". Mit dem Hundertjährigen dürfte es aber auch darum geschehen sein. Denn es gibt keine kommunikative Erinnerung mehr an diesen Krieg, stellt der Historiker Carlo Lejeune im BRF-Interview fest - will heißen: es gibt niemanden mehr, der von persönlichen Erfahrungen berichten kann.
Was machen wir also damit, wenn das Jubiläum vorbei ist? Bloß nicht hinkende Vergleiche ziehen nach dem beliebten Vorbild: "Geschichte wiederholt sich" - was unheilverkündend daherkommt, aber furchtbar schicksalsergeben und resignativ klingt. Besser ist es, aus der Geschichte zu lernen, Verhaltensmuster zu erkennen, zu sehen, wie Menschen in bestimmten Situationen, unter gewissen Umständen reagieren, wozu sie in der Lage sind ... Dann kann auch die Beschäftigung mit einem hundert Jahre zurückliegenden Geschehen sinnvoll sein und Interesse wecken.
Stephan Pesch