"Die EU ist schuld mit ihren Sparauflagen." Oder die Familie Benetton, die nach der bunten Kleidung heute ihr Geld vor allem mit Infrastruktur verdient. Unter anderem mit gebührenpflichtigen italienischen Autobahnen, zu denen auch der eingestürzte Viadukt in Genua gehört. So will es die populistische Regierung ihrem Volk verkaufen. Ob es tatsächlich Versäumnisse bei der Prüfung und beim Unterhalt des betreffenden Abschnitts gab, muss erst noch beantwortet werden. Und wie es überhaupt zu dem Unglück kam während des Unwetters. Fragen für die italienische Staatsanwaltschaft.
Im Ausland warfen die erschreckenden Bilder vor allem die Frage auf, ob so etwas auch hierzulande passieren kann. Nach dem Muster: "Genua ist überall." Ist es natürlich nicht. Prompt waren Politiker und Experten zur Stelle, um einzugestehen, dass es auch hier besorgniserregende Zustände gebe; und gleichzeitig zu versichern, man habe alles im Griff oder mal so gesagt: ständig im Blick.
Regionalminister Di Antonio kann sich sogar vorstellen, dass das, was in Italien passiert ist, dazu führen wird, dass man darüber nachdenken wird, mehr Geld für den Unterhalt von Brücken einzusetzen. Wobei wir beim Knackpunkt sind. Erhalt und Ausbau der Verkehrsinfrastruktur kosten immens viel Geld. Und jeder Euro, der von öffentlicher Seite kommt, wird genauso gut in anderen staatlichen Bereichen benötigt, in der Bildung etwa oder in der Altenpflege.
Ob die Privatisierung solcher Ausgaben wie in Italien eine dauerhafte Lösung ist, steht gerade nach dem Brückeneinsturz in den Sternen. Als Erstes hat der Verkehrsminister von der Cinque-Stelle-Bewegung mal angekündigt, dem Autobahnbetreiber die Lizenz entziehen zu wollen. Es gibt aber auch vernünftige Stimmen gegen die gewinnorientierte Privatisierung von allgemeinnützigen Einrichtungen und Aufgaben des Staates.
Zu dessen Aufgaben gehört auch, mutige und tragfähige Konzepte zu entwickeln für Herausforderungen wie den Verkehrskollaps, unter dem die für ganz andere Verhältnisse ausgelegte Infrastruktur aus den 60er oder 70er Jahren zusammenzubrechen droht. Viele Ingenieurbauwerke, so auch der Viadukt in Genua, stammen aus dieser Zeit, als es Italien gut ging und als Mobilität unbegrenzt schien. Im Französischen spricht man bei solchen Bauwerken von "Ouvrages d'Art" - von Kunstwerken. Um im Jargon zu bleiben, wäre es an der Zeit für einen großen Wurf - für moderne Verkehrskonzepte.
Stephan Pesch