"Pacta sunt servanda" - Verträge sind einzuhalten. Das Prinzip ist quasi so alt wie die Rechtsordnung an sich. Und gerade im Völkerrecht ist es ein Grundpfeiler. Die Welt braucht verbindliche Regeln. Denn verbindliche Regeln schaffen Berechenbarkeit. Berechenbarkeit schafft Stabilität. Und Stabilität ist letztlich eine Grundbedingung für Frieden.
Stabilität und Frieden. Das war auch mal ein Anliegen der USA. Damals, als Amerika noch während des Zweiten Weltkrieges aktiv die Schaffung der Organisation der Vereinten Nationen vorantrieb, was dann noch 1945 zur Gründung der UNO führte. In dem Sinne gehören die USA mit Sicherheit mit zu den Begründern des Multilateralismus, einer vielpoligen Welt, die letztlich auf Zusammenarbeit fußt.
All das ist jetzt ernsthaft in Gefahr. Mit dem Ausstieg aus dem Atomabkommen mit dem Iran öffnet Donald Trump die Büchse der Pandora. Das eigentlich Aberwitzige daran ist, dass man das Gefühl nicht loswird, dass dieser diplomatische Vandale sich der wirklichen Tragweite seiner Entscheidung nicht einmal bewusst ist.
Zunächst zum Vertrag an sich. Der Atomdeal mag nicht perfekt sein, aber das haben Kompromisse nunmal so an sich. Wurde er eingehalten? Diejenigen, die das überprüfen sollten, die sagen ja. Die Internationale Atomenergiebehörde hat bislang jedenfalls keinerlei Verstöße feststellen können, zumindest, was den "nuklearen" Aspekt des Abkommen angeht. Sprich: Bis zum Beweis des Gegenteils wurde der Iran durch das Abkommen davon abgehalten, weiter an der Atombombe zu arbeiten.
"Wer das glaubt, der ist grenzenlos naiv", hört man da den einen oder anderen schon sagen. Nach dem Motto: In irgendeinem stillen Kämmerlein ist das Atomprogramm bestimmt weiter vorangetrieben worden". Ist das so? Gegenfrage: Wo sind denn die Massenvernichtungswaffen von Saddam Hussein? Es hat sie nie gegeben. Der Irakkrieg fußte bekanntlich auf einer Lüge. Und in der Tat mag man hier durchaus Parallelen erkennen können. Die Inszenierung gleicht jedenfalls verdächtig dem, was wir 2003 auch schonmal gesehen haben.
Dem Iran quasi aus dem Bauch heraus Unaufrichtigkeit zu unterstellen, ist auch ein Ausdruck von bewusst selektiver Wahrnehmung. Klar ist der Iran eine aufstrebende Regionalmacht, die überall im Mittleren Osten ihre Finger im Spiel hat und gerne auch mal herumzündelt. Nur: Genau diese Analyse trifft auch auf andere zu, etwa auf Saudi-Arabien.
Aber mal abgesehen von der Frage, mit wem der Vertrag geschlossen wurde, hier geht es in erster Linie um das "Prinzip Vertrag". Pacta sunt servanda, eben! Es ist ganz einfach ungeheuerlich, dass sich dieser US-Präsident das Recht herausnimmt, einseitig ein solches Abkommen zu kippen. Ein brandgefährlicher Präzedenzfall, ein epochaler Fehler. Denn, welchen Wert hat ab jetzt noch ein internationales Abkommen? Nicht mal mehr den des Papiers, auf dem es geschrieben steht! Makulatur!
Bedrohung für internationale Organisationen
Das ist der Anfang vom Ende der internationalen Ordnung. Globale Anarchie, in dem Sinne, dass diese Entscheidung quasi der Institutionalisierung des Gesetzes des Stärkeren gleichkommt. Die Europäer, die Trump bei der Gelegenheit ebenfalls hat alt aussehen lassen, haben vollkommen recht, wenn sie in alledem auch eine Bedrohung für internationale Organisationen wie der Nato oder der Vereinten Nationen sehen.
Und da darf man sich auch nicht von den jüngsten vermeintlichen außenpolitischen Erfolgen des US-Präsidenten ablenken lassen. Im Falle Nordkoreas scheint die Politik der nuklearen Drohkulisse ja noch funktioniert zu haben; die Betonung liegt bis auf weiteres auf dem Wörtchen "scheint". Doch selbst, wenn Trump durch seinen jüngsten Coup jetzt den Iran in die Knie zwingen könnte, wäre das immer noch keine nachträgliche Rechtfertigung, nach dem Motto: "Guckt mal, es klappt doch! Der Zweck heiligt eben doch die Mittel". Nein, es wäre, wenn überhaupt, dann nur eine Bestätigung dafür, dass allein der Stärkere bestimmt, wo es langgeht. Das wäre ein Zeichen an der Wand, auch für die Europäer.
Die haben jetzt zwei Möglichkeiten. Entweder, sich der unberechenbaren, offensichtlich von der Innenpolitik und seiner Aversion gegen seinen Vorgänger diktierten Politik der Trumpschen Brechstange zu unterwerfen. Oder jetzt endlich ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen, mehr noch, sich endlich auf das Niveau der Weltbühne hinaufzuschwingen, wo Europa aufgrund seiner Demographie und Wirtschaftskraft längst hingehört. Europa muss sich von Amerika emanzipieren, auch militärisch. Keine Politik "gegen" irgendjemanden, nein, die Europäer dürfen durchaus auch mal selbstbewusst eigenständig auftreten.
Jetzt müssen sie es nur noch können. In Zeiten des Brexits und einiger Totalitarismus-Experimente im Osten sind da durchaus Zweifel erlaubt. Den Isolationisten in Europa muss jetzt doch aufgehen, dass in einer Welt wie der von Trump, in dem allein der Stärkere den Ton angibt, man nur im Block auf Augenhöhe ist. Je mehr Trump die bestehende Weltordnung zerdeppert, und den anderen seinen Willen aufzwingen will, desto mehr sollte die EU doch vernünftigerweise als schützender Hafen erscheinen. Wie war noch sinngemäß auf Twitter zu lesen: Im Idealfall hat Donald Trump ja sogar am Ende den Karlspreis verdient, für seine Verdienste um die Einigung Europas.
Roger Pint