"Was ist eigentlich fair?", fragt ein Kollege in der Redaktionskonferenz, während wir über den Kommentar diskutieren. Ist fair das, was der Produzent, in unserem Falle der kleine Milchbauer, als fair empfindet? Oder ist das fair, was der Markt als fair erhandelt, der Börsenpreis? Damit trifft er den Nagel auf den Kopf, denn das englische Wort "fair" kann so ziemlich alles bedeuten, von "schön", über "gerecht", bis hin zu "billig".
In der Welt der einen ist es fair, Landwirten ein Auskommen zu sichern, auch wenn der Preis für deren Milch über dem Marktpreis liegt. In der Welt der anderen ist aber genau dieser Marktpreis fair, denn er wurde durch das Gesetz von Angebot und Nachfrage geschaffen. Dass es aber nur über den Markt nicht funktioniert, wird immer mehr Menschen klar. Man muss also einen Mittelweg zwischen den verschiedenen Deutungen von fair finden. Das finden zurzeit viele Konsumenten, die sich bewusst für im Sinne der Nachhaltigkeit faire Produkte entscheiden. Gut, dass die zahlreichen Skandale um Nahrungsmittel, die Umweltsünden und Enthüllungen um Tierquälerei nicht ungehört vorbei gehen.
Aber Achtung, zurzeit wollen so viele Menschen auf die Öko-Welle aufspringen, dass die Produzenten gar nicht mehr hinterher kommen. Das treibt dann so absurde Blüten, dass Eier aus niederländischen Legebatterien im Karton mit dem Aufdruck “belgische Bio-Eier” landen. Neben Etikettenschwindel führt sich auch die Bio-Industrie selbst ad absurdum. Oder warum ist das Bio-Gemüse im Supermarkt so oft in Plastik verpackt? Und auch die faire Produktion ist nicht immer ganz gerecht. Es ist nicht fair, dass Landwirte in der EU so stark subventioniert werden, dass sie ihre Milch als Pulver nach Afrika schiffen können und dort lokalen Produzenten das Wasser abgraben.
Während die neue Öko-Bewegung mit Werten wie "bio", "regional" und "fair" - überspitzt gesagt - den Planeten retten will, sind für den Markt "bio", "“regional" und "fair" nur weitere Vokabeln im Verkaufsjargon. Verbraucher und Produzenten lassen sich damit leicht aufs Glatteis führen. Und man kann sein Zeugs damit sogar noch ein ganzes Stück teurer verkaufen.
Faire Produkte zu kaufen, im Sinne der Nachhaltigkeit, ist gar nicht so einfach, wenn der Markt mit seiner eigenen Definition von fair ständig dazwischenfunkt. Wer bewusst konsumieren will, sollte das auch tatsächlich bewusst tun, und nicht blind alles kaufen, auf dem bio, fair oder regional steht. Es geht nicht nur um die Verpackung, sondern darum, wie das Produkt entstanden ist. Die faire neue Welt im Laden kann man fälschen. Die Wiese, auf der die Kuh steht, nicht so leicht.
Doch auch dann ist die Diskussion nicht zu Ende. Auch Wiesen sehen nicht überall gleich aus. Die kleinen Produzenten, die im Fairebel-Narrativ die Guten sind, sind oft auch nur kleinere Rädchen in einem System, das mit Höchstgeschwindigkeit auf eine Wand zurast. Konventionelle Landwirtschaft, auch in kleinem Maßstab, lebt auf Pump. Sie funktioniert nur solange, bis Bodenerosion, Artensterben und Umweltbelastung ihren Tribut fordern. Bitte nicht falsch verstehen: Marken wie Fairebel sind gute Initiativen und ein Schritt in die richtige Richtung. Aber eben auch nicht das Ende vom Weg. In dem Sinne ist der Markt dann doch fair, denn wenn Landwirte, Händler und Konsumenten nicht bald fundamental umdenken, werden wir uns frisches Gemüse und Milch vielleicht irgendwann nicht mehr leisten können.
Anne Kelleter