Die Geschichte wiederholt sich. Immer wieder. Renault Vilvoorde, Ford Genk, Opel Antwerpen, und jetzt eben: Caterpillar Charleroi. Eine soziale Katastrophe. Eine mehr.
Im Großraum Charleroi werden jetzt wieder 5.000 Familien ins Unglück gestürzt. Und das mit dem Fingerspitzengefühl eines Bulldozers: Eine kurze, auf Englisch vorgelesene Erklärung, und da wird in ein paar Worten mal eben ein Werk zugemacht.
Gut, Caterpillar kämpft erwiesenermaßen mit Absatzproblemen. Und ja, der US-Konzern musste sogar eine Gewinnwarnung herausgeben. Dennoch sind die Dividenden, die an die Aktionäre ausgezahlt werden, auch in den letzten Jahren noch immer brav gestiegen.
"Das ist nunmal Kapitalismus", könnte man da jetzt entgegnen. Ist wohl so. Nur sollten die Propheten dieses Kapitalismus' nicht glauben, dass es die Welt bis auf alle Ewigkeit akzeptieren wird, dass sich eine Handvoll Leute die Taschen vollstopft und dafür buchstäblich den Rest der Welt wie Einwegtaschentücher behandeln kann, nach dem Motto: "Benutzen und wegschmeißen".
Ach ja! Und besagte Taschentücher, die kriegt man ja auch noch gesponsert. Die Staaten schnüren den Konzernen längst wahre Geschenkpakete, in denen Zuschüsse und Steuerdeals liebevoll arrangiert sind. Das freilich macht die Multinationals nicht zu "Freunden fürs Leben".
Ein paar Fotos und ein paar Sektempfänge später, wenn es irgendwann nicht mehr passt, dann sind sie doch weg. Und der Staat, die Öffentliche Hand, die Steuerzahler, die müssen dann feststellen, dass sie ihre Zuschüsse im Endeffekt doch in einen Scherbenhaufen gesteckt haben.
Das ist es, was unsere Demokratien zunehmend zerfrisst. Das ist es, was dazu führt, dass die Menschen dem "Establishment" zunehmend misstrauen. Es ist eben die Tatsache (denn es ist eine Tatsache), dass die Staaten und damit ihre demokratisch gewählten Regierungen im Grunde keinen Handlungsspielraum mehr haben. Sie sind insbesondere den Multinationals ohnmächtig ausgeliefert, diesen Konzernen, die sich - wie die fast schon sprichwörtlichen Heuschrecken - einfach vom Acker machen können, wenn sie sich sattgefressen haben.
Hier wird der Faktor ausgehebelt, der den Kapitalismus über Jahrzehnte hinweg für die breite Masse akzeptabel gemacht hat, nämlich sein Auftreten in der "rheinischen" Form, gemeinhin bekannt als soziale Marktwirtschaft. Wie wenig "sozial" die vornehmsten Vertreter des Systems inzwischen sind, dafür war auch Apple in dieser Woche ein schönes Beispiel.
"Steuern zahlen? Wir doch nicht!"Apple zahlte in Irland gerade mal 50 Euro je erwirtschaftete Million, ein Steuersatz von stolzen 0,005 Prozent. Frei nach der berühmten Maxime, die Kardinal Mazarin in den Mund gelegt wird, dem "Premierminister" von Ludwig XIV: "Lasst uns die Armen besteuern, es gibt deren ja so viele". Gemeint war hier die arbeitende Mittelschicht.
Apple ist da wohlbemerkt kein Einzelfall - und damit wären wir auch wieder bei Caterpillar. Auch der US-Baumaschinenkonzern - dem die Regierungen dieses Landes über Jahrzehnte hinweg Honig um den Bart geschmiert haben, damit er sich dann doch über Nacht davonstiehlt - hat, wie es die RTBF noch hervorhob, in Belgien so gut wie keine Steuern bezahlt. Heute mehr denn je eine schreiende Ungerechtigkeit, die fast schon an das Gleichheitsverständnis im ehemaligen Ostblock erinnert.
Die Konzernzentralen, das sind die wahren Elfenbeintürme des 21. Jahrhunderts, bewohnt von Menschen, die sich für Gott halten, für die jedenfalls die Gesetze der Normalsterblichen nicht zu gelten scheinen. Es sind auch die Caterpillars und Apples dieser Welt, die den Populisten in die Karten spielen, die nationale Abschottung predigen. Denn wenn besagte soziale Marktwirtschaft am Ende nicht mehr sozial ist, dann bricht auf Dauer auch der soziale Konsens weg. Genau das passiert hier gerade.
Und dann wundern sich die Apples und Caterpillars dieser Welt auch noch darüber, dass viele Bürger prinzipiell Freihandelsabkommen à la TTIP ablehnen. Dabei haben die Menschen doch allen Grund, diesem ungezügelten Kapitalismus prinzipiell zu misstrauen. Auch im eigenen Interesse sollten die Großkonzerne also einsehen, dass es höchste Zeit ist, wieder in die Gesellschaften zurückzukehren, in denen sie doch eigentlich ihre Geschäfte machen wollen.
Ebenfalls im eigenen Interesse muss aber auch die Politik aufhören, den Raubtierkapitalismus als gottgegebenes Naturgesetz zu betrachten und den Konzernen endlich verbindliche Leitplanken geben. Die EU wäre in einer solchen Position. Wenn sie ihrem Urgedanken gerecht werden und weiter ein Friedensprojekt sein will, wenn sich Europa wirklich eine neue Zweckbestimmung geben will, dann kann es nur diese eine Baustelle geben: Eine wirklich soziale Marktwirtschaft.
Roger Pint
Dies ist ein Geschenk des Himmel für die PTB.