"Für die Weltgesundheitsorganisation ist das Coronavirus zu einer 'ernsten Bedrohung für die Welt' geworden", titelt La Libre Belgique. Die WHO hat jetzt auch der neuartigen Lungenkrankheit einen offiziellen Namen gegeben: "Covid-19". Inzwischen hat die Zahl der Infizierten nach staatlichen Angaben in China die 44.000er-Marke überschritten. Die Zahl der Toten wird mit über 1.100 angegeben.
"Der neue Risiko-Patient", schreibt derweil De Morgen auf seiner Titelseite. Und dieser "Risiko-Patient", das ist für die Zeitung die Weltwirtschaft. Auf Seite eins von De Tijd wird diese Diagnose konkreter: "Das Coronavirus trifft den belgischen Luftfrachtsektor", schreibt das Blatt. Die Flughäfen von Zaventem und Lüttich warten schon seit Tagen auf Fracht aus China. Nach der traditionellen Flaute, die durch das chinesische Neujahrsfest bedingt ist, sind die Frachtverbindungen zwischen China und Belgien immer noch nicht wieder in Gang gekommen. Einige Unternehmen, die auf die Waren angewiesen sind, denken schon darüber nach, ihr Personal in Kurzarbeit zu schicken.
Familie fordert Konsequenzen
Im Mittelpunkt der Leitartikel steht derweil der offene Brief, den die Familie der ermordeten Julie Van Espen gestern veröffentlicht hat. Darin übt sie scharfe Kritik an der Justiz. Julie Van Espen war am 4. Mai vergangenen Jahres in Antwerpen vergewaltigt und ermordet worden.
Der Täter, wie sich herausstellte, der 39-jährige Steve Bakelmans. Der hätte eigentlich gar nicht auf freiem Fuß sein dürfen, weil er 2017 zum zweiten Mal wegen Vergewaltigung verurteilt worden war. Eigentlich hätte er für vier Jahre ins Gefängnis gemusst, er blieb aber in Freiheit, weil er Berufung gegen das Urteil eingelegt hatte. "Julie wäre noch am Leben, wenn alle Verantwortlichen innerhalb der Justiz ihren Job gemacht hätten", so das Fazit der Familie in dem offenen Brief. Die Angehörigen fordern Konsequenzen, bis hin zu einer Bestrafung der zuständigen Magistrate.
"Lasst Julie nicht umsonst gestorben sein", das ist wohl die Botschaft der Familie Van Espen, bemerkt Het Laatste Nieuws in seinem Leitartikel. Und dieser Wunsch ist vollkommen nachvollziehbar. Die Angehörigen listen auch eine ganze Reihe konkreter Maßnahmen auf, die die Tragödie hätten verhindern können. Allerdings kann man das Problem wohl mit einem Wort zusammenfassen: Geld. Belgien gibt im Vergleich zu Nachbarländern wie Deutschland oder den Niederlanden wesentlich weniger Geld für seine Justiz aus. Das erklärt aber wohl immer noch nicht alles.
Urteile werden letztlich immer noch von Menschen gesprochen – und Menschen können Fehler machen. Politiker können dafür sorgen, dass die Umstände, in denen Urteile gesprochen werden, besser werden. Die Entscheidung an sich bleibt aber eine Einschätzung. Wer Nullrisiko will, der fordert eigentlich eine mittelalterliche Justiz.
Tickende Zeitbomben
De Tijd plädiert für eine externe Kontrolle der Justiz: Immer noch führt die Justiz ein reines Eigenleben. Und das ist nicht mehr zeitgemäß. Gewählte Politiker müssen den Gerichten auf die Finger schauen dürfen. Hier geht es nicht darum, den Richtern ihre Urteile zu diktieren – natürlich gilt weiterhin die Gewaltentrennung. Es muss aber erlaubt sein, die Funktionsweise der Gerichte zu hinterfragen. Die Justiz verbittet sich jegliche Kontrolle? Das muss egal sein.
Für De Morgen hat der Mord an Julie Van Espen noch einmal grundsätzliche Systemfehler offengelegt. Natürlich haben die zuständigen Magistrate Fehler gemacht. Und natürlich ist die Forderung nach einer Bestrafung legitim. Der Punkt ist aber: Ein Mann wie Steve Bakelmans gehörte eigentlich in die Psychiatrie. Bakelmans zeigt ein komplexes Charakterbild, eine Mischung aus einem Kleinkriminellen, einem sexuellen Triebtäter und einem klinischen Geisteskranken. Für Menschen mit einem solchen Profil gibt es im Moment keinen Platz in unserem System. Und wie man leider sehen musste, handelt es sich hier um tickende Zeitbomben.
"Immer mehr Minderjährige werden Opfer sexueller Ausbeutung", so derweil die Aufmachergeschichte von Le Soir. Die Zahl der neuen Fälle ist nach Angaben der Kinderschutzorganisation Child Focus um fast 30 Prozent gestiegen. In einem von drei Dossiers geht es um Jugendliche, die von zu Hause ausgerissen sind.
Der König in New York
"Eine Rose für das einzige belgische Opfer des 11. Septembers", schreibt seinerseits Het Nieuwsblad auf seiner Titelseite. Zu sehen sind König Philippe und Königin Mathilde, wie sie besagte Rose an der Gedenkstätte in New York niederlegen, die an die Anschläge vom 11. September 2001 erinnert.
Eigentlicher Hintergrund des Besuchs des Königspaars in New York ist aber der derzeitige belgische Vorsitz im UN-Sicherheitsrat. Heute wird König Philippe vor dem wichtigsten Entscheidungsgremium der Vereinten Nationen eine Rede halten. Im Mittelpunkt wird die Problematik der Kindersoldaten stehen.
Zum Glück muss das Staatsoberhaupt nicht über Völkerverständigung oder gar über das eigene Land referieren, meint leicht sarkastisch L'Avenir. Die Zeiten, in denen der "belgische Kompromiss" Vorbildcharakter hatte, die sind offensichtlich erst einmal vorbei. Da ist es weniger riskant, und vor allem auch wesentlich sinnvoller, das Schicksal von Kindern zu thematisieren, die in kriegerische Konflikte verwickelt sind.
Apropos innenpolitische Krise: Het Nieuwsblad kann es offensichtlich kaum erwarten, dass das Land endlich eine neue Regierung bekommt. Die Zeitung macht das am Beispiel Klimaschutz fest: Belgien steht da nirgendwo. Das einst so enthusiastische EU-Mitglied Belgien wird auf dem europäischen Parkett immer häufiger zum schwarzen Schaf.
Oft kann man die Zersplitterung der Zuständigkeiten noch als Entschuldigung anführen. Das ist aber nur die halbe Wahrheit. Es gibt auch einige Minister, die schlichtweg fehl am Platze sind. Das gilt zum Beispiel für die föderale Energieministerin Marie-Christine Marghem, die ja auch für Klimaschutz zuständig ist. Eine neue Regierung hätte allein schon den Vorteil, dass man solche Fehlbesetzungen dann endlich los wäre.
Roger Pint