Mit einem Sieg der Ukraine ist der 61. Eurovision Song Contest in Stockholm zu Ende gegangen. Beiträge aus 26 Nationen, die sich in den beiden Halbfinals am 10. Mai und 12. Mai neben den gesetzten Big5 (Deutschland, Frankreich, Spanien, Italien und Großbritannien) und Gastgeber Schweden qualifiziert hatten, lieferten wieder einmal ein atemberaubendes Spektakel voller Glitter, Glamour, Kitsch und falschen Tönen. Das Ganze wurde bei vielen der Beiträge durch grelle, aber auch technisch höchst ausgefeilte visuelle Effekte manchmal unterstützt, manchmal übermalt.
Wohltuend hob sich dabei die Natürlichkeit unserer belgischen Vertreterin Laura Tesoro ab, die die Ehre hatte, mit der Startnummer Eins den Wettbewerb zu eröffnen. Gut gelaunt und schwungvoll ließ sie es sich nicht anmerken, was es für einen Künstler bedeuten muss, den Eisbrecher zu geben und vor hunderten von Millionen von Zuschauern in kurzen 3 Minuten den Auftritt des Lebens hinzulegen. Laura machte ihre Sache ausgezeichnet und sorgte für Beifallsstürme in dem ausverkauften Globen. Der gesamte Fanbereich groovte und klatschte ausgelassen zu dem heiteren "What´s the Pressure" mit.
Leider konnte Laura trotz ihres unbekümmerten und frischen Auftritts nicht an den letztjährigen Erfolg von Loïc Nottet anknüpfen. Manchmal entpuppt sich die Startnummer Eins als Nachteil - gegen den Trend reichte es dann allerdings zu einem guten 10. Platz, im Halbfinale wurde Laura noch auf den dritten Platz gewählt. Laura braucht sich nicht zu grämen - sie hat in den Probenwochen durch ihr Auftreten den Fans und Journalisten gegenüber und auch durch ihre natürliche Art viele neue Freunde, Fans und Unterstützer gewonnen und zeigte sich im anschließenden Interview sehr zufrieden.
Die strahlende Siegerin des diesjährigen Songcontest kommt aus der Ukraine und heißt Jamala. Für ihren Beitrag "1944" kassierte sie bei dem neuen Wertungssystem sage und schreibe 534 Punkte. In einem atemberaubenden Kopf an Kopf Rennen mit Dami Im aus Australien und Sergej Lazarev aus Russland konnte sie sich am Ende unter dem Jubel der Massen durchsetzen.
Dies bedeutet auch, dass sich der Eurovisionstross 2017 auf den Weg in die Ukraine machen wird, denn traditionell steht dem Siegerland die Ehre zu, im Folgejahr den Contest ausrichten zu dürfen, wahrscheinlich in Kiew. Sowohl Fangemeinde und Journalisten sind dabei höchst gespannt, wie das Gastgeberland für 2017 mit Minderheitenproblemen und den hierzulande zum Grundstandard gehörenden Pressefreiheit umgehen wird, denn die Ukraine ist nicht für einen großzügigen Umgang mit den Menschenrechten bekannt.
Spannend wird es sein zu sehen, ob dann nächstes Jahr Russland an dem Wettbewerb teilnehmen wird. Sicherlich wird in den nächsten Tagen eine hitzige Debatte über die politische Botschaft des Siegertitels, der sich bekanntlich mit dem grausamen Schicksal der Krimtataren und deren Vertreibung auseinandersetzt, einsetzen. Die Frage stellt sich, ob dieses Jahr die politische Botschaft oder die Musik bei der Wählerentscheiung im Vordergrund stand.
Für Deutschland endete der Abend erneut im Desaster. Jamie Lee erhielt von der Jury nur einen Punkt und von den Fernsehzuschauern 10 Punkte. Damit landete sie mit ihrem Titel "Ghost" den letzten Platz, wie im Jahr zuvor Ann Sophie. Zum ersten Mal wurde das neue Punktesystem eingesetzt. Polen zum Beispiel lag nach dem Juryvoting auf dem letzten Platz und erreichte letztlich den 7. Platz.
Besonderer Hingucker des Abends war zweifellos Weltstar Justin Timberlake, der im Pausenprogramm auftrat. Sicher war dies eine Hommage an die USA, wo zum ersten Mal der Eurovision Song Contest live übertragen wurde. Überhaupt scheint der Siegeszug des europäischen Gesangswettbewerbs nicht zu stoppen, soll doch im Jahr 2017 auch im asiatisch-pazifischen Raum ein vergleichbarer Wettbewerb ausgetragen werden.
Auch der ewige ESC-Komponist Ralph Siegel kann sich gut vorstellen, Deutschland im nächsten Jahr beim Eurovision Song Contest zu vertreten. "Wenn es mir gelingt, das, was ich im Kopf habe, gut zu produzieren und mit den richtigen Leuten zu besetzen, dann werde ich mich noch einmal beteiligen», sagte der 70-Jährige vor dem ESC-Finale in Stockholm, das er einmal "ohne Stress" besuchen konnte. Antreten will er "immer am liebsten für Deutschland". Aber: "Das entscheiden andere Leute." Er habe das ja in der Vergangenheit "nicht so schlecht gemacht", meine er. Für Nicole hatte das ESC-Urgestein "Ein bisschen Frieden" komponiert. Damit wurde sie 1982 die erste Grand-Prix-Siegerin aus Deutschland.
Abba-Musiker Björn Ulvaeus hat "Ein bisschen Frieden" als einen der besten Grand-Prix-Songs aller Zeiten bezeichnet. "Das ist deutscher Schlager in seiner besten Form", sagte er. "Wie diese guten alten deutschen Lieder, mit denen Benny (Andersson) und ich aufgewachsen sind." Melodie und Text passten wunderbar zusammen. Als Teil der Popband Abba hatte Ulvaeus 1974 den ersten ESC-Sieg für Schweden eingefahren. Danach waren er, Agnetha, Benny und Anni-Fried weltberühmt geworden.
Biggi Müller - Foto: Thomas Hanses/EBU