Belgien steht im Finale des Eurovision Song Contest. In einer nervenaufreibenenden Bekanntgabe der weiteren 10 Qualifikanten für das große Finale am 14. Mai 2016 wurde Belgien als letzte genannte Nation erlöst. Zuvor hatte Laura Tesoro wohl den Auftritt ihres Lebens hingelegt und auf dem letzten Startplatz die Halle zu wahren Begeisterungsstürmen hingerissen.
Frisch, schwungvoll und mitreißend bezauberte die 19-jährige Flämin mit ihrem Funky-Song "What´s the Pressure" und brachte die Zuschauer und Jurys dazu, sie zusammen mit den Teilnehmern aus Lettland, Georgien, Bulgarien, Australien, Ukraine, Serbien, Polen, Israel und Litauen in das große Finale zu wählen. Damit tritt sie in die Fußstapfen von Loic Nottet, der ja im letzten Jahr mit dem vierten Platz ein so fantastisches Ergebnis für Belgien erzielt hatte.
Auch wenn Fachleute und ESC-Fans dieses Jahr Belgien nicht derart weit vorne sehen, war allein die Finalqualifikation angesichts des starken Teilnehmerfeldes ein besonderer Erfolg und belohnte die monatelange akribischen Vorbereitungen unserer sympathischen belgischen Vertreterin. Während der Darbietung von Laura haben die Teilnehmer und Delegationen der anderen Länder im Green Room begeistert mitgetanzt. Leider hat uns das schwedische Fernsehen diese Bilder vorenthalten.
Alles in Allem war es eine etwas uninspirierte Show. Das Intro war dasselbe wie in der Dienstagssendung, danach folgt aber eine herrliche Eröffnungssummer mit singenden und tanzenden Gastgebern: Petra Mede und Måns Zelmerlöw erklärten im Broadwaymusical-Stil den Eurovision Song Contest, offenbar aus dem Anlass der ersten Grand-Prix-Liveübertragung in die USA. Im Einzelnen:
Lettland
Er schrie wie um sein Leben, Gesang konnte man es leider nicht nennen, was Justs bot. Trotzdem hat er mit "Heartbeat" das Finale gereicht.
Polen:
Gefühlvoller Schmuse-Softrock von Michal Szpak und "Colour of your Life" damit Anwärter auf die neue Kuschelrock-CD.
Schweiz:
Endstation hieß es für die Schweiz, die mit der kanadisch stämmigen Sängerin Rykka und dem Song "The Last of our Kind" an die Erfolge einer Celine Dion anknüpfen wollte. Verstörend war nicht nur die von Schweizer Medien als "Zurüchseeblau" bezeichnete Haarfarbe der Sängerin, sondern auch ein gewagt transparentes Kleid und absonderliche Bewegungsmuster. Da half auch der Pyro-Goldregen am Ende nichts.
Israel
Balladenfreunde kamen bei dem israelischen Schmachtfetzen "Made of Stars" voll auf ihre Kosten, den der stark geschminkte Hovi Star in mitten eines Funkenregens in das weite Rund des Globen schmetterte. In Hovi Stars Schrei-Phase gegen Ende klang jedoch nicht alles perfekt abgestimmt, aber immerhin überfuhren ihn die Rad-Turner nicht. Und so hören wir ihn im Finale wieder.
Weißrussland
Schon im Vorfeld sorgte Ivan für Aufregung, wollte er doch splitterfasernackt zusammen mit einem Wolf auf die Bühne steigen. Da das die Regeln nicht erlaubten, wurde dies nur auf die Leinwand projiziert. Der bedrohlich bemalte Ivan meisterte die bei diesem Song Contest schon obligatorische Schrei-Phase seines Liedes "Help You Fly" unfallfrei, für das Finale reichte es aber leider nicht.
Serbien
Stimmgewaltiger Balkanpop. Sängerin Santa Vučič hatte bei "Goodbye" das meiste im Griff, aber beim wichtigen Grand-Prix-Halbtonschritt, wenn sie ihr Lied laut schallend von tiefe in hohe Tonlagen schwingt, kam es immer wieder zu Unsicherheiten - ausgerechnet an so exponierter Stelle. Sie hat die Chance, das im Finale besser zu machen.
Irlands
Der Westlife-Charme wurde perfekt verbreitet, sehr routiniert, aber auch sehr statisch - bis auf einen etwas angestrengt wirkenden Endspurt. Nicky Byrne kam mit "Sunlight" trotz einer der Favoritenrollen nicht weiter.
Mazedonien
Wer ins Finale will, muss alles geben. Kaliopi brillierte wieder ziemlich gewaltig. Vor allem der Chor klang - mit ihr im Zusammenspiel - so sagenhaft, als stünden da doppelt so viele Mädels auf der Bühne. Allein der Schlagzeuger wirkte immer noch etwas notwendig ins Bild gebaut. Die von den Fans vergötterte sympathische offene Kaliopi muss leider den Heimweg antreten.
Litauen
Pyrotechnik, viel Umhergezappel und einen Salto, bei dem man immer wieder ein bisschen mit zittert. Aber: vergänglicher Pop aus Litauen von einem "Wiederholungstäter", denn schon vor 4 Jahren hatte Donny Montell sein Land in Baku vertreten. Damals hatte er es auch ins Finale geschafft. Die baltische Republik drückt ihm jetzt die Daumen für die beste Eurovisionsplatzierung von "I´ve been waiting for this Night" aller Zeiten.
Australien
Ganz großes Kino! Mit Dami Im kehrte wieder Eleganz ins Halbfinale ein. Sie machte das unglaublich souverän - auch ihre obligatorische Schrei-Phase bei "Sound of Silence" klang in ihrem Fall sehr geordnet und sauber. Sie könnte weit oben im Finale mitspielen, wenn nicht sogar ganz oben.
Slowenien
Ohne Pyrotechnik ging es offensichtlich nicht, auch wenn das im Zusammenspiel mit dem Stabhochsprungstangen-Turner umso eigentümlicher wirkt. Belangloses Gedudel, das sich allenfalls auf einer zweistündigen Autobahnfahrt gut ertragen lässt - die Heimfahrt dauert etwas länger.
Bulgarien
Kraftvoller Pop gepaart mit Ethnoklängen in Landessprache. Poli Genova glitzert sehr stark und leuchtet bekanntlich sogar innerhalb der Kostümierung. Das sieht gut aus und klingt auch ordentlich - für den, dem's gefällt. Poli ist ein nationaler Star und scheiterte 2011 im Halbfinale in Düsseldorf - diesmal erreichte sie problemlos das Finale. Und egal wo sie dort landet: "If I Was a Crime" wird in diesem Jahr der Sommerhit in Ihrem Urlaub am Goldstrand sein.
Dänemark
Lighthouse X lieferten den gewohnt sicheren Vortrag ab. Die drei Jungs können mit ihrem recht beliebig klingenden Schlager und der We-can-make-it-if-we-try-Botschaft einfach nicht hinreichend mitreißen. Da entsteht kein Funke, der überspringen könnte. Auch wenn der gute Zweck dahinter steht - der Erlös wird gespendet - die Ohren der Zuschauer hat "Soldiers of Love" nicht erreicht.
Ukraine
Schwerste Kost perfekt inszeniert. Der historisch-politische Beitrag "1944" von Jamala erhält nach dem armenischen Vorfall bei der Probe am Vortag einen unvorhergesehenen Nachgeschmack. (Armeniens Repräsentantin Iveta Mukuchyan hatte im Greenroom während des 1. Halbfinals vor laufenden Kameras die Flagge der zwischen Armenien und Aserbaidschan kriegerisch umkämpften Region Berg-Karabach geschwenkt und dies auch in der Pressekonferenz als bewusste politische Aktion kommentiert - Armenien muss möglicherweise Sanktionen befürchten) Dennoch, oder gerade deswegen konnte Jamala einmal mehr das Publikum zu Begeisterungsstürmen bewegen.
Norwegen
Agnete wurde als "Eisbrecher" ihrer Rolle gerecht. Eine kühle blonde Schönheit in strahlend weißem Kleid besang den "Icebreaker", ein Popsong mit überraschenden Tempowechseln. Leider kannten wir Agnete nur von der Bühne, denn die angeblich psychisch kranke Sängerin gab keine Pressekonferenz und erschien auch nicht auf dem roten Teppich beim Rathausempfang. Für eine Veranstaltung, die in der Hauptsache von Fans getragen wird, ein No Go. Dafür hat Agnete jetzt die Quittung erhalten und mit ihr sind, mit Ausnahme von Gastgeberland Schweden als automatisch qualifiziert, alle skandinavischen Beiträge in der Vorrunde gescheitert.
Georgien
Der wohl gewöhnungsbedürftigste Song des Abends! War "Midnight Gold" für manche einfach nur Krach, hielten wiederum andere dies für gut gemachte Popmusik. Das Lichtgeflacker ist für die Hallenbesucher noch anstrengender, als für die Zuschauer am Bildschirm. Letztere wiederum müssen nervöse Wackelbilder hinnehmen. Drei Minuten können sehr lang sein! Und wir müssen sie leider am Samstag noch einmal ertragen. Der geringste Applaus in der Halle, die größte Überraschung des Abends.
Albanien
Schwermütig melodramatisch, nicht ins Ohr gehen wollend! Eneda Tarifa bereitete mit "Fairytale" den perfekten Kontrastpunkt zum folgenden, spritzigen Vortrag von Laura Tesoro. Eneda Tarifa wird mit dem unauffällig störungsfreien und stimmsicheren Vortrag zufrieden gewesen sein. Die Zuschauer waren es leider nicht.
Nun geht es an die Vorbereitungen für das große Finale am Samstag Abend. In der anschließenden Pressekonferenz der Finalteilnehmer wurde auch per Los ermittelt, in welcher Hälfte der Auftritt stattfinden wird. Laura tritt danach im ersten Teil auf.
In der Show wird Justin Timberlake auftreten und seine neue Single "Can´t Stop the Feeling" vorstellen. Der Song wurde von den schwedischen Erfolgskomponisten Max Martin und Shellback geschrieben, die Justin Timberlake nun nach Stockholm gelotst haben. Hier zahlen sich die weltweiten Erfolgsverbindungen der schwedischen Musikindustrie einmal richtig gut aus. "We are proud to welcome one of the world’s greatest artists! It is an honour and an inspiration to all of us", sagte Martin Österdahl, der Produzent des Eurovision Song Contest 2016.
Update:
Leider hat das schwedische Fernsehen dem belgischen Beitrag die Startnummer 1 gegeben. Das ist ganz bitter für Laura Tesoro. Sir wird es sehr schwer haben. Nachfolgend die Startreihenfolge für das Finale am 14. Mai 2016:
- Belgium
- Tschechien
- Niederlande
- Azerbaidschan
- Ungarn
- Italien
- Israel
- Bulgarien
- Schweden
- Deutschland
- Frankreich
- Polen
- Australien
- Zypern
- Serbien
- Litauen
- Kroatien
- Russland
- Spanien
- Lettland
- Ukraine
- Malta
- Georgien
- Österreich
- Großbritannien
- Armenia
Biggi Müller I Fotos: Sigi Doppler und Thomas Hanses/EBU