Manon Lescaut, da denkt der Opernliebhaber gleich an Giacomo Puccini oder Jules Massenet. Diese beiden haben den gleichnamigen Roman von Abbé Prévost als Vorlage zu einer Opernkomposition genutzt und zwei Meisterwerke des jeweiligen Genres, sprich des Verismo für Puccini und der Opéra lyrique für Massenet geschaffen.
Aber vorher hatte schon Daniel François Esprit Auber, dem wir ja auch "Die Stumme von Portici" verdanken, deren Aufführung 1830 in Brüssel zur Gründung des belgischen Staates mit beigetragen haben soll, seine Manon Lescaut komponiert. Diese Manon ist heute von den Spielplänen verschwunden. Aber Lüttichs Operndirektor Stefano Mazzonis hatte es sich in den Kopf gesetzt alles drei Manons in seinem Haus zu zeigen. Und jetzt zum Abschluss der Trilogie, die sich über mehrere Jahre verteilte, wird Aubers Manon gezeigt.
Auber schrieb eine Opéra Comique, die sich noch stärker am Originalbuch des Abbé Prévost orientiert. Die Musik ist, wie beim Genre der Opéra Comique üblich, ziemlich eklektisch, sie hat sehr komische Seiten, aber auch lyrische Momente, sie ist mal pathetisch und dann sehr pompös. Jede Szene ist eine ganz neue musikalische Herausforderung. Dem wird das Orchester unter der umsichtigen Leitung des jungen Lütticher Dirigenten Cyrill Englebert gerecht.
Für die anspruchsvolle Partie der Manon konnte man mit Sumi Jo einen Weltstar verpflichten. Sie ist immer noch eine der Koloratursopranistinnen unserer Zeit. Ihre Stimme hat sich im Laufe der Jahrzehnte natürlich weiter entwickelt. Sie ist zum einen immer noch die Nachtigall, die jeden noch so virtuosen Triller mit einer verblüffenden Leichtigkeit meistert, die schwindelerregenden Höhen machen ihr auch nichts aus, und am Ende der Oper, in der Sterbeszene, bringt sie mittlerweile die notwendige Reife ein, die die Rolle auch erfordert.
Ihr zur Seite steht mit Sabine Conzen als ihre Freundin Marguerite eine ebenso junge wie sehr talentierte belgische Sängerin, auch der Tenor Enrico Casari glänzt in der Partie des Manon-Geliebten Des Grieux. Bei der Vorstellung am Dienstag Abend enttäuschte hingegen Wiard Witholt als Marquis d'Hérigny. Ihm machten die höheren Passagen der Partie doch sehr zu schaffen.
Für die Regie hat man mit dem aus Lüttich stammenden und mittlerweile als Direktor der Oper von Metz tätigen Paul Émile Fourny einen erfahrenen Theatermann verpflichtet. Seine Inszenierung ist sehr präzise, allerdings auch ein wenig konventionell. Dabei beginnt er mit der originellen Idee während der Ouvertüre Studenten im Bühnenbild einer großen Bibliothek ihre amourösen Beziehungen auf verspielt heitere Art darzustellen. Daraus entwickelt sich dann die ganze Geschichte in sehr eleganten, dem 19. Jahrhundert entsprechenden Kostümen. Fourny beschränkt sich meist darauf, den Sängern und Sängerinnen eine angenehme Position zu geben, dem Publikum die Arien und Duette zu präsentieren.
Das ist schon ein wenig altbacken. Das Ende, das ja in der Wüste von Lousiana spielt, eine an und für sich absurde Idee von Abbé Prevost, lässt er wieder vor einem überdimensionalen aufgeklappten Buch spielen. Eine gelungene Idee, die wieder auf den Anfang der Inszenierung verweist.
Bis Dienstag wird Manon Lescaut noch in Lüttich gegeben und Stefano Mazzonis konnte auch bereits das Programm der kommenden Saison vorstellen. Dabei bleibt er seiner Linie treu, bekannte Title anzubieten, sozusagen die Hits der Opernliteratur, sowie einige Entdeckungen. Der Zuspruch gibt ihm Recht, denn die Auslastung der Lütticher Oper belief sich für das Jahr 2015 auf 97 Prozent. Ein beeindruckendes Ergebnis.
Turandot, Nabucco, Don Giovanni, Otello, Orpheus in der Unterwelt aber auch La damnation de Faust und Verdis Jerusalem stehen unter anderem auf dem Programm. Mazzonis hat auch wieder zahlreiche Stars verpflichten können: Jose Cura ist gleich in zwei Produktionen zu sehen, aber auch Ruggiero Raimondi, Leo Nucci, Ildebrando d'Arcangelo, Cinzia Forte und auch Angela Gheorghiu kommen nach Lüttich. Aber bis zu Beginn der Saison 2016-2017 wird es neben dem Galakonzert der phantastischen Elina Garanca Ende April auch noch ein Wiedersehen mit La Traviata und La Bohème geben.
Hans Reul - Bild: Opera Royal de Wallonie