Lang anhaltenden Applaus gab es nach der Premiere zurecht für das Orchester. Unter der Leitung von Chefdirigent Kazem Abdullah konnte das Sinfonieorchester Aachen mit sehr schönem Klang der Musik Mozarts die gewünschte Verve und auch Lyrik verleihen. Sei es im gesamten Zusammenspiel oder in den Solopassagen der einzelnen Pulte. Streicher wie Bläser und auch das in der "Entführung" gerne eingesetzte Schlagwerk ließen Spielfreude und präzises Musizieren spüren. Das war allerfeinster und sehr temperamentvoller Mozart, ganz wie die Partitur es verlangt.
Das Sängerensemble konnte in vielen Momenten diesem Niveau entsprechen, aber leider muss man auch einige Abstriche machen. Tatsächlich ist Mozarts Partitur, seien es die von vielen Sopranistinnen gefürchteten Koloraturen der Konstanze oder die verflixten Höhen in der Partie des Belmonte, voller Tücken. Von den fünf Solopartien sind deren vier mit Gästen besetzt. Das zeigt schon, dass man sich dieser Ansprüche durchaus bewusst ist.
Patricio Arroyo, der Aachener Haustenor, der unter anderem in dieser Saison als Tony in der West Side Story glänzt und sehr korrekt den Walther von der Vogelweide im Tannhäuser singt, kann nach anfänglichen leichten Unsicherheiten dem Belmonte die gewünschte Farbgebung verleihen, auch wenn sein Bühnenspiel ein wenig hölzern wirkt. Keith Bernard Stonum singt und spielt mit einer mitreißenden Begeisterung den Pedrillo. Schade, dass er in seiner sogenannten Ritter-Arie nicht ganz intonationssicher bleibt. Aber es macht durchgehend Spaßn, ihm beim Spiel zuzusehen.
Überragend und mit tiefschwarzem Bass interpretiert Randall Jakobsh den Osmin. Die, wie gesagt, von vielen gefürchtete Rolle der Konstanze singt Cigdem Soyarslan. Respekt, wie sie den Ansprüchen, wie etwa in der virtuosen "Martern-aller-Arten"-Arie gerecht wird, auch wenn ihre Stimme durchgehend eine hörbare Schärfe kennzeichnet. Larisa Vasyukhina wirbelt als Blondchen über die Bühne. Wie sie bei ihrer "Welche-Wonne,-welche-Lust"-Arie hüpft und singt, ist schon eine sportliche Leistung.
Bassa Selim von einer Frau gespielt
Und dann gibt es ja in der Entführung die Sprechrolle des Bassa Selim, der ja Konstanze, Blondchen und Pedrillo entführen ließ, sich Konstanze zur Frau nehmen möchte und am Ende, zumindest bei Mozart, allen dreien sowie dem Befreier Belmonte die Freiheit schenkt. Regisseur Sebastian Hirn hat die Idee, den Bassa Selim von einer Frau spielen zu lassen. Dabei geht es ihm auf gar keinen Fall, wie er im Programmheft betont, um die Darstellung einer lesbischen Beziehung zwischen ihm (respektive ihr) und Konstanze. Es geht ihm wohl auch nicht um eine Auflösung der Geschlechterrollen, sondern laut eigener Aussage, um die Fragestellung, was es bedeutet, über jemanden Macht auszuüben und in einem Abhängigkeitsverhältnis zu stecken. Das liest sich sehr schön, aber erschließt sich nicht in der Inszenierung. Wie viele der gewiss sehr reflektierten Ideen - davon möchte man doch ausgehen - auf der Bühne nicht ihre Wirkung zeigen.
Die Bühne ist ein offener leerer Raum, der Boden ist in seiner ganzen Fläche von einem Teppichimitat bedeckt, ursprünglich sollten echte Teppiche dort liegen. Dem kahlen Bühnenbild entgegengesetzt ist der Glitzervorhang, der den Orchestergraben umringt. Auf einem Laufband über der Bühne erscheinen in Leuchtschrift immer wieder Aphorismen und Zitate von Sartre, Rousseau oder auch Nietzsche, die wohl das Geschehen erhellen oder konterkarieren sollen. Nur warum? An und für sich ist alles in der Musik und im Libretto gesagt. Und auch verständlich. Warum am Ende des Singspiels Osmin den Bassa Selim, der ja den Gefangenen die Freiheit schenkt und als ein Beispiel der Menschlichkeit dasteht, dann erdolcht, bleibt - zumindest für die meisten - Premierenbesucher ein Mysterium und sie bedachten, nicht nur aus diesem Grund, das Regieteam nach gut dreieinhalbstündiger Vorstellung mit anhaltenden Buh-Rufen, dem sich ein wackerer Bravo-Rufer entgegenstellte.
In diesem Monat steht Mozarts "Entführung aus dem Serail" noch am 16., 22. und 28. April auf dem Spielplan. Weitere Aufführungen dann im Mai. Alle Infos gibt es unter theateraachen.de.
Hans Reul - Bild: Carl Brunn