Eines gleich vorweg: Das Sinfonieorchester Aachen unter der Leitung von Kazem Abdullah und die Sänger waren am Premierenabend in bestechender Form. Musikalisch konnte die Aufführung auf der ganzen Linie überzeugen und sogar begeistern. Aber zum Musiktheater gehört nicht nur die Musik sondern auch die szenische Umsetzung eines Werkes. Und da hat Regisseur Ludger Engels mit reichlich vielen Klischees das Werk fast umgedeutet. Am Ende musste er dafür zurecht zahlreiche Missfallensäußerungen des Publikums entgegennehmen.
Es ging schon damit los, dass in den einleitenden Takten des Orchestervorspiels ein kleines Mädchen allein auf der Bühne stand. Wahrscheinlich die junge Tosca, sie tauchte im Laufe des Abends immer wieder mal auf und ganz am Ende, als Tosca in grellem Scheinwerferlicht verschwand, - auf den finalen Sprung von der Engelsburg wurde glücklicherweise auch in dieser Inszenierung verzichtet - von der Bühnendecke herunter schwebte. Warum? Das bleibt wohl das Geheimnis des Regisseurs. Er hat sich gewiss etwas dabei gedacht, aber was?
Klar ist, dass Engels die Kirche im Visier hat. Da wurde ein sehr großer, schlanker, schon ein bisschen tatterig wirkender Mann in einem papstähnlichen Ornat auf die Bühne gerollt, der dann, oh Wunder, denn das Libretto gab dies nicht her, auch der Ermordung des Malers Cavaradossi seinen Segen gab. Da durften drei feiste Bischöfe die Wangen der Ministranten tätscheln und zwei Chormädchen wurden von Nonnen dem Bösewicht Scarpia zugeführt. Ohne Frage: Kirche und Missbrauch ist ein Thema, das leider nichts an Aktualität verloren hat, aber ist "Tosca" die Oper, in der dies verhandelt wird? Da habe ich meine Zweifel. Da wäre eine genauere psychologisch feinere Analyse der Protagonisten des Werkes angebrachter gewesen. Da war die Aachener Inszenierung von Michael Helle vor zwölf Jahren um einiges schlüssiger.
Gerettet wurde der Opernabend von einem glänzend disponierten Orchester und den gesanglichen Leistungen der Protagonisten. Dirigent Kazem Abdullah ließ das Sinfonieorchester mit Saft und Kraft spielen, scheute keine expressiven Ausbrüche und konnte auch die lyrischen Momente nachzeichnen. Zurecht wurden Abdullah und die Musiker am Premierenabend vom Publikum gefeiert. Gleiches galt für die Sänger. Christian Tschelebiew sang überzeugend den Polizeichef Scarpia, für die Rolle des Cavaradossi musste in der letzten Woche ein Ersatz gefunden werden, da Haustenor Chris Lysack erkrankte. Für ihn sang Adriano Graziano überaus beeindruckend mit sehr kräftiger, aber in der Höhe nicht immer intonationssicherer Stimme. Und als Tosca brillierte Irina Popova. Nachdem sie in der vorigen Saison unter anderem als Küsterin in Janaceks "Jenufa" glänzte, ist die Tosca gewiss ein weiterer wichtiger Schritt in ihrer Karriere. Zurecht wurde sie mit lang anhaltendem Applaus bedacht.
Hans Reul - Bild: Wil van Iersel