Was der Regisseur Pierre Audi vor 15 Jahren für das Barocktheater im schwedischen Drottnigngholm erdachte, funktioniert auch 2015 auf der Bühne der Brüsseler Oper La Monnaie aufs Vortrefflichste. Die technischen Möglichkeiten des historischen Theaters in der Nähe von Stockholm sind sehr begrenzt, somit lässt uns Audi mit wenigen Bilderwechseln in die Welt der beiden Händel-Opern eintauchen.
In "Tamerlano" reicht ein Einheitsbühnenbild: ein perspektivisch sich nach hinten verengender Saal mit Säulenreihen am Rand, in dem nur im dritten Akt eine poetische Wolkenwand aufzieht. Wolken, die übrigens am zweiten Abend bei "Alcina" wieder zu sehen sind. Auch der höfische Festsaal aus "Tamerlano" bildet den Rahmen des letzten Aktes von "Alcina", während zuvor Waldszenen die Insel der Magierin symbolisieren.
Schon diese Übernahme einiger Bilder und der einzigen nennenswerten Requisite der beiden Produktionen, ein als Thron dienender Stuhl, machen die Ansetzung als Doppelabend schlüssig. Auch musikalisch ist es sehr spannend und aufschlussreich, die Entwicklung des Opernkomponisten Händel von "Tamerlano" zu "Alcina" zu verfolgen. Zwölf Jahre liegen zwischen den beiden Werken und die sind nicht spurlos an Händel vorübergegangen.
Haben wir bei "Tamerlano" eine auf das Allerwesentlichste konzentrierte und die Gefühle nachzeichnende Musiksprache, ist "Alcina" nur so gespickt mit Virtuosität und Koloraturen. Es ist dem Betrachter und Zuhörer selber überlassen, was ihn mehr anspricht: die dichte Musik aus "Tamerlano" oder die fulminant daherkommende Klangvielfalt der "Alcina", wobei natürlich auch hier die lyrische Seite nicht zu kurz kommt.
Pierre Audi hat beide Werke in seiner Inszenierung mit viel Raffinement elegant durchchoreographiert. Elegant sind auch die wunderschönen Kostüme. Audi ist ein wahrer Meister der Personenführung, der es zudem versteht, seine Sänger im wahrsten Sinne des Wortes ins richtige Licht zu rücken. Vor allem in "Tamerlano" ist jede Bewegung, sogar jede Mimik von sinngebender Bedeutung. In "Alcina" wird auch die kraftvolle, die dynamische Seite der Musik durch das Bühnenspiel unterstrichen.
Audi lässt übrigens nicht nur die gerade singenden Protagonisten auftreten, sondern auch die, nennen wir sie, besungenen Personen, und er erzielt damit eine sehr klar verständliche Deutung. Und gesungen wird an den beiden Abenden auf allerhöchstem Niveau.
In "Tamerlano" gibt Sophie Karthäuser eine sehr bewegende Asteria, Tochter des von Tamerlano gefangenen Bajazet, die am Ende doch ihren Geliebten Andronicus zum Mann bekommt. An und für sich müsste man alle Solisten nennen, denn es ist eine fantastische Ensemble-Leistung. Gleiches gilt für "Alcina". Herausragend sind hier Sandrine Piau in der Titelpartie und Maité Beaumont als Ruggiero.
Die Basis zu diesen sängerischen Glanzleistungen legt Dirigent Christophe Rousset mit seinem Ensemble "Les talens lyriques". Roussets Interpretation ist ebenso präzise wie einfühlsam, dynamisch wunderbar gestaffelt, von genau angemessenen Tempi und Klangfarbenreichtum. Da bietet die Partitur von "Alcina", dem späteren der beiden Werke, natürlich noch weitaus mehr Spielraum als die frühere Oper "Tamerlano".
Jede der beiden Opern ist einen Besuch wert und wer die Möglichkeit hat, beide Produktionen zu sehen, sollte sie sich nicht entgehen lassen. Bis zum 8. Februar werden sie jeweils noch fünf Mal in der Brüsseler Oper "La Monnaie" gegeben.
Bilder: Bernd Uhlig/La Monnaie