Laut seinem treuen Diener Leporello hat er mehrere tausend Frauen in ganz Europa verführt: Don Giovanni, der Casanova unter den Opernhelden. Aber ist er wirklich der ewige Verführer? Sind die Frauen nur die Opfer der Liebesspiele Don Giovannis oder legen zumindest die drei Protagonistinnen der Oper es selber auch drauf an, den Don Giovanni für sich zu gewinnen? Die Frage ist nicht ganz neu, aber der polnische Theatermann Krzysztof Warlikowski bringt sie mit dramatischer Deutlichkeit auf die Bühne.
Natürlich ist Don Giovanni selber von Sex besessen. Das zeigt schon die Eingangsszene. Da nimmt er in der seitlichen Königsloge gemeinsam mit Donna Anna Platz und beide schauen sich einen an Steve McQueens "Shame" angelehnten sehr freizügigen Film an. Dabei werden die beiden aus der gegenüber liegenden Loge vom Komtur beobachtet. Als der merkt, dass seine Tochter Donna Anna dem Charme Giovannis aus freien Stücken verfällt, eilt er zu den beiden und wird von Don Giovanni ermordet. Damit beginnt ja das Dramma giocoso, wie Mozart die Oper selber bezeichnete. Drama gibt es viel in der Inszenierung von Warlikowski, giocoso ist sie nur sehr bedingt.
Warlikowski sagt zwar selber, dass er seine Inszenierung ganz von der Musik ausgehend inszeniert, aber manchmal gewinnt man den Eindruck, dass er der Musik nicht ganz vertraut. Warum müssen die meisten Szenen mit zusätzlichen Statisten so überladen sein? Warum unterbricht er den Fluss der Handlung immer wieder mit kurzen Verzögerungen? Das führt leider in der musikalischen Umsetzung zu einer nicht kohärent spannenden Interpretation. Der Dirigent Ludovic Morlot setzt zwar ab und zu auf scharfe Kontraste, aber die gut drei Stunden Musik ziehen fast zäh vorüber.
Bei der Besetzung der einzelnen Rollen hat man wohl vor allem auf die schauspielerischen Qualitäten der Solisten Wert gelegt. Und das geht voll und ganz auf. Jede Figur ist adäquat dargestellt, das ist Theater auf höchstem Niveau und Warlikowski verlangt den Sängern einiges ab: So muss Barbara Hannigan die große Arie der Donna Anna im zweiten Akt auf dem Rücken liegend singen. In Brüssel begeisterte Hannigan schon als Lulu oder in zeitgenössischen Opern, Donna Anna ist ihr Debüt, wie übrigens für fast alle Protagonisten es ein Rollendebüt war. Julie Mathevet glänzte zum Beispiel als Zerlina. Das sie alles andere als das arme brave Mädchen vom Lande ist, das von Giovanni verführt wird, zeigt sie ihm mit ihrem lasziven Lachen, als er ihr den Heiratsantrag macht. Jean Sebastien Bou gab den etwas schmierigen Don Giovanni und Andreas Wolf konnte, nach anfänglichen Intonationsproblemen in der Katalog-Arie, als Leporello überzeugen. Bei Topi Lehtipuu, der die Partie des Don Ottavio schon oftmals gesungen hat, durfte man die schöne musikalische Stimmführung erwarten.
Aber warum muss fast jede Szene mit zusätzlichem Personal besetzt sein? Sicher kann Warlikowski jede Doppelung erklären, aber für den Beobachter erschließt sich das ganze nicht. Das stört mehr, als das es erhellt. Sei es das seilspringende Mädchen oder die halbnackte Table-Dancerin, bei der man auch an einen Bodybuilding-Wettbewerb denken kann. Während der Friedhofsszene taucht sie dann in einem weißen Kleid auf, um unrhythmisch auf ihrem Stuhl rumzuhüpfen. Einige Premierenbesucher mussten sich hier fast das Lachen verkneifen. Übrigens hat man in La Monnaie schon seit langem nicht mehr so viele Buhrufe schon vor der Pause gehört. Oft ging einem an diesem Abend der Gedanke "Less is more" durch den Kopf. Schade. Warlikowski, dem wir große Theater- und Opernabende, allein in Brüssel mit Lulu, Macbeth und Médée, verdanken, hat mit dem Don Giovanni keinen weiteren Geniestreich abgeliefert.