Es ist immer wieder erstaunlich und vor allem interessant zu sehen, auf welch unterschiedliche Art und Weise man ein und dasselbe Werk angehen kann. Ein Vergleich zwischen dem Aachener und dem Lütticher „Fidelio" ist dafür ein schöner Beleg.
Während in Aachen der Regisseur Alexander Charim die Originaldialoge, die zwischen den gesungenen Szenen gesprochen werden, wohl als antiquiert ansieht und durch Einspielungen, die den Verlauf der Handlung klar machen und ihn reflektieren sollen, ersetzt, behält der italienische Regisseur Mario Martone in Lüttich die Originaltexte bei.
Und ich muss sagen, er tut gut daran. So bleibt die Handlung durchgehend klar, er versucht gar nicht erst dem Ganzen eine neues inhaltliches Konzept hinzuzufügen, sondern erzählt, zwar auf sehr konventionelle Weise, die Handlung. Leonore gelingt es als Fidelio verkleidet ihren Gatten Florestan, der ungerechtfertigt im Kerker einsitzt, aus diesem zu befreien.
Diese Liebesgeschichte und die begleitenden machtpolitischen Ränkespiele zeigt uns Martone in einem dunklen, bedrückenden Bühnenbild, das uns in das von Rocco geführte Gefängnis versetzt. Der Kerker selbst, in dem Florestan einsitzt, ist gleich vorne in der linken Orchesterloge. Dies bedeutet, dass alle Besucher die in den Rängen der linken Saalseite sitzen, den Kerker gar nicht sehen könnten.
Das Problem löst der Bühnenbildner Sergio Tramonti auf ebenso einfache wie geniale Art: Die Szene wird auf eine Leinwand in der rechten Orchesterloge projiziert. Als Leonore war ja bei der Saisonvorstellung ursprünglich Deborah Voigt angekündigt worden. Sie hat aber abgesagt und wurde durch Jennifer Wilson ersetzt. Ob sie unserer heutigen Vorstellung der idealen Leonore-Darstellerin entspricht, sei einmal dahingestellt.
Aber gesungen hat die amerikanische Sopranistin auf sehr hohem Niveau. Vor allem ihre Mittellage ist mehr als beeindruckend. Ihr gegenüber überzeugte Zoran Todorovich in der zwar nicht sehr langen aber sehr anspruchsvollen Partie des Florestan. Thomas Gazheli war darstellerisch ein perfekter Don Pizarro, aber ein bisschen gepflegter gesungen hätte der Pizarro bei aller Boshaftigkeit, die der Rolle innewohnt, schon sein können.
Cinzia Forte, die in Lüttich schon als Traviata gefeiert wurde, entspricht stimmlich nicht mehr ganz der Rolle der jungen Marzelline. Sie war auch diejenige, die sich am schwersten mit der Aussprache der deutschen Dialoge tat.
Überragt wurde die Premiere von Franz Hawlata in der Partie des Rocco. Man merkt dem Sänger die Erfahrung an, aber auch die Lust am Spiel, die Freude, eine Rolle ganz zu gestalten, ihr den wahrhaften Ausdruck zu geben. Somit wird er zur zentralen Figur des ganzen Geschehens.
Neben Hawlata gilt es auch die Arbeit von Chor und Orchester hervorzuheben. Es war der erste „Fidelio" für Lüttichs Chefdirigent Paolo Arrivabeni, den wir bisher hauptsächlich im italienischen Repertoire kennen. Aber er kann auch Beethoven, das hat er hier nachdrücklich unter Beweis gestellt.
Bis zum 11. Februar steht „Fidelio" auf dem Programm der Lütticher Oper.