„Jenufa“ ist eine der packendsten, dramatischsten und auch lyrischsten Opern des gesamten Repertoires. Leos Janacek schuf ein wahres Meisterwerk, dem man immer wieder neue Bilder abgewinnen kann. Aber so konsequent bilderreich und psychologisch präzise gedeutet wie in dieser neuen Produktion von La Monnaie hat man diese Oper schon lange nicht mehr gesehen. Diese „Jenufa“ stellt einen absoluten Höhepunkt der aktuellen Opernsaison dar.
Der lettische Regisseur Alvis Hermanis überrascht im ersten Akt mit Bildern und Szenen, die von der mährischen Folklore bestimmt sind. Dies zeigt sich in den Kostümen des Gesangsensembles und der Tänzerinnen, die sehr farbenfroh von der Kostümbildnerin Anna Watkins gestaltet wurden. Dass „Jenufa“ ein Werk aus der Zeit des Jugendstils ist, machen die wunderschönen Projektionen auf das riesige Portal, das die eigentliche Spielfläche umrahmt und für die großen Chorszenen sich öffnet, deutlich. Die einzelnen Protagonisten bewegen sich mit ihren stilisierten Gesten wie im japanischen Kabuki-Theater oder in einer Robert Wilson-Inszenierung. Die Handlung wird durch eine durchgehende Choreographie von Alla Sigalova unterlegt. Es gibt unzählige visuelle Eindrücke, die man in ihrer Gesamtheit kaum alle aufnehmen kann. Aber es ist einfach wunderschön.
Im zweiten Akt wagt Alvis Hermanis dann einen kompletten Stilbruch. Es ist vorbei mit dem Märchen, die Wirklichkeit in ihrer ganzen Grausamkeit hält Einzug. Die farbenreiche Welt macht der Tristesse Platz. Wir sind in der heruntergekommen Wohnung der Küsterin, ein Bett, ein Herd, ein Tisch, der ununterbrochen stumm vor sich hin sendende Fernseher bilden den Rahmen des aufziehenden Dramas. Um die Ehre ihrer Ziehtochter Jenufa zu retten, wird die Küsterin das neugeborene Kind Jenufas töten. Der Draufgänger Steva hatte sie geschwängert, will aber eine andere heiraten. Die Küsterin hat Jenufa versteckt gehalten und wird nun das Kind verschwinden lassen. Mit einer psychologisch klug inszenierten Personenführung lässt Hermanis uns das ganze Leid, die Verzweiflung von Jenufa und der Küsterin eindringlich spüren. Dieser zweite Akt ist großes Schauspiel und wird dank der Stimmen ebenso packendes Musiktheater.
Da fragt sich jeder Premierenbesucher wie lässt sich dies im dritten Akt, in dem die Kindstötung am Hochzeitstag Jenufas mit Laca ans Licht der Öffentlichkeit kommen wird, noch steigern? Nun, Hermanis kehrt zu den Bildern des ersten Aktes zurück. Allerdings sind die Tänzerinnen nicht mehr in folkloristisch bunte Gewänder gekleidet sondern eher neutral und unterstreichen mit ihren Gesten fast im Sinne Diaghilevs und dessen Ballets russes die ganze Handlung. Nur ein Bild von vielen sei erwähnt: Sie machen mit ihren fließenden Bewegungen den Fluss offensichtlich, in dem die Küsterin das Kind ertränkte. Ob hier oder in jeder anderen Szene spürt man, dass alles genauestens durchdacht ist und ganz im Sinne des Regisseurs übertragen wird.
Unter den Darstellern ragen die beiden Frauen heraus: Sally Matthews lässt uns mit ihrer wunderschön hellen Stimme das Leiden der jungen Jenufa spüren, Jeanne-Michèle Charbonnet ist eine vom Wahnsinn getriebene Küsterin, die auch den Mut zur Hässlichkeit hat. Auch die beiden Tenöre Charles Workman als Laca und Nicky Spence als Steva setzen stimmliche Glanzpunkte. Und mehr als getragen wird die Produktion von einem glänzend aufspielenden Orchester unter der Leitung von Ludovic Morlot. Er versteht es die lyrischen Momente klangschön zu gestalten, aber es sind vor allem die dramatischen Passagen, die in ihrer Klangfülle zu Musiktheater im Orchestergraben werden.
Diese „Jenufa“-Produktion sollte sich niemand entgehen lassen. Bis zum 7. Februar steht „Jenufa“ auf dem Spielplan der Monnaie.
Bild: Jacques Collet (belga)