Wenn Bühnenbild, Regie, Gesang und Orchesterleistung sich zu einem kongenialen Ganzen verbinden, dann handelt es sich um einen großartigen Opernabend. Und dies bei einem Werk, das bis vor gar nicht langer Zeit vollkommen von den Spielplänen verschwunden war und dem man unsägliche Längen nachsagte. Weit gefehlt. Besonders in dieser Produktion von Olivier Py und Marc Minkowski des weit über drei Stunden langen "Hamlet" von Ambroise Thomas in Zusammenarbeit mit dem Theater an der Wien. Nach den "Huguenots" von Giacomo Meyerbeer glückt dem Team ein weiterer überzeugender Beitrag in Sachen Grand Opera français.
Pierre-André Weitz hat eine Bühne entworfen, die in ihren grau-schwarzen Bildern an beste und spannende Schwarzweißfilme erinnert. Zunächst schauen wir in ein riesiges Kellergewölbe, das von einer monumentalen Treppe bestimmt wird. Im Laufe des Abends fahren die einzelnen Treppenelemente auseinander und geben immer wieder neue Blickwinkel frei, die die ideale Kulisse für immer neue zwischenmenschliche Konstellationen ist. Das ist von einer atemberaubenden Effizienz. Gleiches gilt für das Licht, das den einzelnen Szenen in ihrer oft sehr dunklen Atmosphäre eine unglaubliche Intensität verleiht.
Olivier Py versteht es, die Sängerdarsteller in einer packenden Personenregie agieren zu lassen. Die einzelnen Personen, vor allem Hamlet und Ophelia, sind in ihrer ganzen Zerrissenheit charakterisiert. Dabei stieg die junge Sopranistin Lenneke Ruiten erst vor wenigen Wochen in die Produktion ein. Sie gestaltet die Ophelia auf sehr einnehmende Art, selbst die virtuosen Koloraturen der Wahnsinnsarie meistert sie mit stupender Sicherheit. Lenneke Ruiten, den Namen wird man sich merken müssen.
Aber geprägt wird die Aufführung von Stéphane Degout in der Titelpartie des Hamlet. Mit einer wunderschönen, kraftvoll sonoren Stimme, die in den letzten Jahren an Reife und Ausstrahlung enorm gewonnen hat, gibt er eine bewegend Sicht der Rolle. Bei ihm wirkt alles ganz natürlich, ohne jede Anstrengung. Das ist ganz großes Musiktheater. Einige Reserven seien bei Jennifer Larmore in der Partie der Königin erlaubt. Darstellerisch ist auch sie mehr als glaubwürdig, allerdings wird ihr Gesang von einem allzu deutlichen Vibrato getrübt.
Besonderes Lob verdient der Chor von La Monnaie. "Hamlet" ist nämlich auch eine große Choroper und das umfangreiche Ensemble ließ in keiner Szene auch nur die kleinste Nachlässigkeit erkennen. Auch aus dem Orchestergraben strahlt eine Farbigkeit, die ihresgleichen sucht. Und wieder ist dann die Frage erlaubt: Warum wird diese Oper so selten gegeben? Ambroise Thomas komponierte eine erstaunlich abwechslungsreiche Partitur, da stehen sanfte lyrische Momente neben packend dramatischen, da klingen Festszenen wie Jacques Offenbach in seinen besten Werken.
Wer bisher dachte, Ambroise Thomas sei ein langweiliger und harmloser französischer Komponist, wird dank des zupackenden Dirigats von Marc Minkowski eines besseren belehrt. Er wagt, es deutliche Kontraste zu schaffen, lässt das Orchester mit voller Kraft auffahren, aber tut der Musik nie Gewalt an. Ob in den Solopassagen oder im Gesamtspiel: Das Orchester von La Monnaie zeigte sich in Höchstform.
Bis zum 22. Dezember steht Hamlet auf dem Programm der Brüsseler Oper. Wegen der zahlreichen Aufführungstermine ist für die Hauptrollen eine Doppelbesetzung vorgesehen.
BIlder: Hermann und Clärchen Baus