Ist es heute überhaupt noch möglich, den Fidelio zu inszenieren? Diese Frage stellt nicht nur Brüssels Operndirektor Peter De Caluwe, der in dieser Saison Beethovens einzige Oper konzertant aufführen lässt. Wie sagt De Caluwe: "Ich kenne keinen Regisseur, dem ich zutraue, den Fidelio für unsere Zeit adäquat auf die Bühne zu bringen." Nach der Aachener Premiere fällt es dem Beobachter schwer, ihm zu widersprechen.
Die Handlung der Oper dürfte allgemein bekannt sein: Leonore gelingt es, als Fidelio verkleidet ihren Gatten Florestan, der ungerechtfertigt im Kerker einsitzt, zu befreien. Nur diese Geschichte einer großen Liebe und den begleitenden machtpolitischen Ränkespielen zu erzählen, wäre tatsächlich zu kurz gegriffen. Der österreichische Regisseur Alexander Charim möchte dann auch mehr: das äußere wie das innere Gefängnis darstellen oder andeuten.
Bei ihm fallen die im Original von den Sängern gesprochenen Dialoge weg. Statt dessen gibt es Einspielungen, die den Verlauf der Handlung klar machen und ihn reflektieren sollen. Dies geht schon vor dem ersten Ton der Ouvertüre los mit dem Brief Beethovens an die "Unsterbliche Geliebte". Im weiteren Verlauf werden auch Auszüge aus Marguerite Duras Erzählung "Der Schmerz"“ vorgelesen. Was heißt vorgelesen? Die Einspielungen sind als Klangcollagen gestaltet. Dafür zeichnet der Sounddesigner Matthias Grübel verantwortlich. So entsteht eine zweite Ebene zur Beethovenschen Musik. Und ich muss sagen: Das Ganze funktioniert einfach nicht. Man hat immer das Gefühl zwei ganz verschiedene Werke zu erleben, die sich weder ergänzen noch Brüche darstellen. Sie stehen einfach unabhängig nebeneinander. Und das ist sehr bedauerlich.
Bleibt also die Musik. Und auch hier war am Premierenabend nicht alles zum besten gestellt. Es wurde auf eher durchschnittlichem Niveau gesungen. So konnte der Tenor Ünüsan Kuloglu zwar mit einer sehr schönen Stimme aufwarten, aber in seiner einzigen großen Arie ging ihm am Ende förmlich die Luft aus. Die Textverständlichkeit von Hrolfur Saemundsson in der Rolle des Pizarro ließ doch sehr zu wünschen übrig.
Nur die beiden Protagonistinnen überzeugten: Emily Newton war eine in jeder Hinsicht großartige Leonore und vom Bühnenrand sang Antonia Bourvé für die aufgrund einer Erkrankung ausschließlich auf der Bühne agierende Jelena Rakic die Partie der Marzelline. Erst in der Schlussszene konnte der Chor des Theaters überzeugen. Beim berühmten Gefangenchor gab es im Männerchor des Hauses einige Unausgewogenheiten. Auch konnte diesmal, und das war doch sehr überraschend, das Orchester nicht dem mittlerweile von Kazem Abdullah gesetzten hohen Standard Genüge leisten. Abgesehen von zu vielen kleinen individuellen Fehlern, vor allem im Hornpult, war auch die gesamte Interpretation wenig beseelt.
Ob Peter De Caluwe mit seiner Befürchtung der Nichtaufführbarkeit des Fidelio recht behält, wird sich spätestens im Februar 2014 zeigen. Denn dann bringt die Oper Lüttich Beethovens Oper in der Inszenierung von Mario Martone heraus.
Foto: Carl Brunn
Die Premierenkritik von Hans Reul ist eine interessante Ergänzung zur deutlich positiveren Beurteilung in der Aachener Zeitung, die den Leistungen des Aachener Theaters - wie man auch bei anderen Artikeln feststellen kann - im Allgemeinen deutlich unkritischer gegenüber steht.