Am Donnerstag legte der Amerikaner Andrew Tyson die Messlatte noch ein wenig höher.
Wie heißt es so schön: Man soll den Morgen nicht vor dem Abend loben und vorsichtig sein mit Prognosen beim einem Musikwettbewerb. Da kann noch soviel passieren. Aber eines ist jetzt schon sicher: Der Amerikaner Andrew Tyson setzte am Donnerstagabend ein weiteres Highlight in einem an Höhepunkten ohnehin nicht armen Königin-Elisabeth-Wettbewerb.
Bevor Tyson uns mit einem grandiosem Konzertauftritt zu begeistern wusste, betrat zunächst der Chinese Yuntian Liu das Podium. Er ist ebenfalls ein ausgezeichneter Pianist, seine Technik ist herausragend. Yuntian Liu wirkt mit seinem Anzug und Krawatte ein wenig wie ein kleiner Professor, in sich gekehrt, sehr brav, der seine Sache einfach gut machen möchte. Und das schafft er auch, allerdings ohne wirklich zu begeistern.
Ob in der Beethoven-Sonate oder im Tschaikowsky-Konzert, er lässt die Finger über die Taten fliegen, fast überhastet, mit Feuer, aber er entzündet bei mir nicht die gewünschte Begeisterung. Dass Tempo nicht gleich zu setzen ist mit Spannung zeigt seine Interpretation des Pflichtwerks. Er ist zwar der Schnellste, aber auch einer der weniger Inspirierten. Allein im langsamen Satz der Beethoven-Sonate verstand er es, urplötzlich zu berühren.
Aber es sollte nach der Pause ein Moment der musikalischen Erfüllung folgen. Der 26-jährige Andrew Tyson präsentierte einen grandiosen Konzertauftritt. Bei ihm vergisst man, dass es sich um einen Wettbewerb handelt. Das ist ganz große Klavierkunst. Gleich die eher selten gespielte Mozart-Sonate KV 533 wird zu einem Ereignis. Jeder Note schenkt Tyson den verdienten Klang, daraus ergibt sich ein Farbenspiel, das schöner nicht sein kann. Bei ihm gehen Nostalgie und Spannung Hand in Hand, hier steht Melancholie Freude gegenüber. Tyson beweist, dass man in einer Sonate ein ganzes Universum schaffen kann.
Seine Sicht auf das Pflichtwerk ist wieder ganz anders als die seiner schon begeisternden Kollegen vom Vorabend, aber ebenso schlüssig. Das zeigt auch, dass "In the wake of Ea" von Michel Petrossian eine sehr gute Komposition ist, die ganz verschiedene Interpretationen ermöglicht. Und was soll man noch über Tysons Wiedergabe des zweiten Rachmaninow-Konzertes sagen? Das ist berührend, begeisternd und in Momenten einfach atemberaubend. Ein großer Musiker lässt dieses oft gespielte Konzert mit gesundem Pathos ohne Kitsch aufleuchten. Wie er mit der Dirigentin Marin Alsop und den Orchestermusikern dialogisiert, ist von hoher, manchmal fast kammermusikalischer Qualität. Sie merken es, Tyson zählt zu den Favoriten.
Spannung steigt
Am Freitagabend trten mit der Koreanerin Sangyoung Kim und dem Australier David Fung zwei Musiker auf, die bisher nicht zu den Favoriten zählten. Am Samstagabend sind zwei Pianisten, von denen man einiges erwarten darf, zu hören. Zunächst der Amerikaner Sean Kennard, ein sehr feinsinniger Musiker, der es in keinem Interview unterlässt, seinen tiefen Glauben kundzutun. Als letzter wird der Pole Mateusz Borowiak an der Reihe sein. Borowiak ist für viele Beobachter tatsächlich ein Podiums-Anwärter, er zählt zu den reifsten Künstlern des diesjährigen Concours. Borowiak hat eine erstaunlich breit gefächerte Ausbildung genossen: ein Uni-Studium in Cambridge, daneben Cello, Gesang, Komposition, und letztlich Klavier.
Warten wir ab, wer in der Nacht von Samstag auf Sonntag zum Sieger des Concours Reine Elisabeth ausgerufen wird. Es kann nur einen geben, aber ebenso sicher ist, dass wir in dieser Finalwoche mehrere phantastische junge Musiker haben kennen lernen dürfen.
Bild: Laurie Dieffembacq (belga)