Der Franzose Rémi Geniet (20) ist ein unglaublich sensibler Künstler. Das hat er am Dienstagabend gleich zum Auftakt mit seiner Interpretation der Sonate Nr. 9 von Ludwig van Beethoven eindrucksvoll bewiesen. Konzentriert und klar, fast klassisch präzise, die Läufe wunderschön perlend, geht er diese frühe Beethoven-Sonate an.
Ihn zeichnet eine große Anschlagskultur aus, die ihm eine beeindruckende Klanggestaltung erlaubt. Dass er es trotz seiner Jugend versteht, einem Orchester seinen Stempel aufzudrücken, zeigt er im Pflichtkonzert. Dabei geht er das Stück weitaus perkussiver an als etwa Zuo Zhang am Vorabend. Eine Option, die sich vertreten lässt.
Warum Rémi Geniet dann ausgerechnet das dritte Rachmaninow-Konzert als Wahlwerk aussuchte, das kann ich nur schwer nachvollziehen. Sicher, das Dritte von Rachmaninow ist eines der schönsten der gesamten Klavier-Literatur und dazu ein echter Blockbuster bei Wettbewerben. Aber ob es für den jungen Franzosen die richtige Wahl war, wage ich zu bezweifeln.
Das Stück verlangt einen äußeren Glanz, fast ein bisschen Glamour. Das scheint mir aber nicht Geniets Welt zu sein. Was hätte er nicht aus einem Chopin-, Prokofiev- oder sogar Beethoven-Konzert machen können. Schade, denn Geniet ist einer der poetischsten aller Kandidaten, ein phantasievoller Künstler und ich bin sicher, dass er seinen Weg gehen wird.
Das gilt auch für Roope Gröndahl. Der 23-jährige Finne begeisterte auf der ganzen Linie. In seinem Sonatenbeitrag schien er noch etwas nervös, da schlichen sich doch kleine Unregelmäßigkeiten ein. Dann folgte die bis dahin wohl beste Interpretation des Pflichtkonzerts. Aber wir sind ja erst beim vierten von insgesamt zwölf Finalisten. Es stehen sicher noch eine Reihe positiver Überraschungen an. Gröndahl lässt uns in der Komposition von Michel Pretrossian an einer sehr souveränen Erzählung teilhaben. Wunderschön der Dialog mit den Solisten des Orchesters. Ihm gelingt es, durchgehend die Spannung hoch zu halten.
Und dann folgte eine grandiose Aufführung des ersten Konzerts von Johannes Brahms. Nach der rund zweiminütigen Orchestereinleitung, in der Gröndahl, fast nonchalant auf seinem Klavierstuhl sitzend, den Orchestermusikern zuschaut, steigt er mit einer Souveränität ein, die ihresgleichen sucht. Er bestimmt den weiteren Verlauf des umfangreichen ersten Satzes und macht daraus eine Sternstunde. Da verzeiht man kleine Flüchtigkeitsfehler, die das Gesamtbild nicht trüben können. Nach diesem virtuosen ersten Satz lässt Gröndahl den Konzertflügel im Adagio auf das allerfeinste singen, um dann im Schlusssatz die ganze Verve und Kraft der Brahms-Partitur zum Leuchten zu bringen. Eine tolle Wiedergabe.
Khristenko und Giltburg
Am Mittwochabend stehen mit dem Russen Stanislav Khristenko und dem Israeli Boris Giltburg zwei weitere Finalisten an, die im Halbfinale mit ihren Rezital-Programmen begeisterten. Der 29-jährige Krishtenko erinnert von der Statur her ein wenig an den letztjährigen Sieger des Violinwettbewerbs, Andrey Baranov. Er wird unter anderem das erste Brahms-Konzert und natürlich auch das Pflichtkonzert "In the wake of Ea" von Michel Petrossian spielen. Boris Giltburg spielt neben dem Pflichtkonzert eine Haydn-Sonate und das dritte Rachmaninow-Konzert.
In der BRF-Klassikzeit stellen wir ihnen alle Finalisten in ausführlichen Interviews vor.
Bild: Laurie Dieffembacq (belga)