Selbst für echte Opernfans dürfte Simon Boccanegra von Giuseppe Verdi eine Entdeckung sein. Viel zu selten wird das Werk gegeben, die Oper ist die Ungeliebte unter den Verdi-Stücken. Sicher, die Handlung ist düster, sogar sehr düster. Echte Hits, sei es nun in den Arien oder Chören, findet man auch nicht. Aber welch fantastische, berührende und dramatische Musik hat Verdi hier geschrieben.
Und wenn dann so überzeugend wie bei der Premiere im Theater Aachen gesungen wird, das Orchester so glänzend disponiert ist und die Inszenierung so intelligent und in sich schlüssig daherkommt, dann kann man sich nur wünschen, dass Simon Boccanegra viele Aufführungen erlebt. Mit berechtigtem und nicht enden wollendem Applaus schloss ein Premierenabend, der lange nachhalten wird.
Die Handlung dieser Oper spielt im Genua des 14. Jahrhunderts. Der beim Volk sehr beliebte Korsar Simon Boccanegra wird zum Dogen der Stadt gewählt. Doch das Schicksal meint es nicht nur gut mit ihm. Er hat mit Maria, der Tochter des Patriziers Jacopo Fiesco, ein Kind. Fiesco verweigert aber die Heirat der beiden, hält die junge Mutter und das Kind in seinem Haus gefangen. Maria stirbt. Dies verschweigt Fiesco aber Simon und bietet ihm trotzdem Versöhnung an, wenn dieser das Enkelkind herausgeben würde. Denn das Kind ist spurlos verschwunden. Fiesco hält Simon für den Kindesentführer und verflucht ihn. Daraufhin dringt dieser in Fiescos Haus ein und findet seine tote Geliebte.
Soweit das Vorspiel der Oper, deren Handlung in den nachfolgenden drei Akten 25 Jahre später ihre Fortsetzung findet. Wie sie sich wohl schon denken können, wird Simon seine Tochter, die jetzt den Namen Amelia Grimaldi trägt, wiederfinden. Nach zahlreichen familiären und politischen Irrungen und Verwirrungen gibt am Ende der sterbende Simon Boccanegra der Eheschließung von Maria respektive Amelia und dem jungen Adligen Gabriele Adorno seinen Segen.
Die Handlung ist auf den ersten Blick wirklich nicht leicht durchschaubar. Umso mehr muss die Regieleistung von Nadja Loschky gelobt werden. Sie schafft es, die einzelnen Charaktere wunderbar zu zeichnen, ohne in psychologisierende Überhöhungen zu verfallen, die Handlung ohne jegliche Übertreibung klar zu erzählen. Dazu braucht es auch keiner historisierenden Bilder. Nein, Loschky setzt mit ihrer Bühnen- und Kostümbildnerin Gabriele Jaenecke auf zeitlose Kleidung und vor allem auf den konsequenten Einsatz der Drehbühne. So wird ein als uninszenierbar verrufenes Werk zu einem großen Theaterabend.
Dass es auch ein grandioser Musiktheaterabend wird, dafür sorgen zum einen die Solisten. Das gesamte Ensemble ist ausgewogen und auf erstaunlich hohem Niveau besetzt. Die am Haus engagierte Irina Popova singt nach anfänglich etwas starkem Vibrato sehr eindrucksvoll die Partie der Maria, aber vor allem sind es die beiden Gäste, die besondere Erwähnung verdienen: Der junge russische Tenor Alexey Sayapin begeistert als Gabriele Adorno und der koreanische Bariton Tito You gibt der Titelrolle stimmliches Volumen und herrliche Klangfarben.
Auch die Leistung des sehr umfangreichen Chores und vor allem des Orchesters kann nicht genug gelobt werden. Genralmusikdirektor Kazem Abdullah lässt einen energischen, dramatischen und auch wohlklingenden Verdi-Sound aus dem Orchestergraben aufsteigen. Ob im Gesamtklang oder auch in den Solopassagen, das Aachener Orchester begeistert bei dieser Premiere. Diesen Simon Boccanegra kann man nur wärmstens allen Opernfreunden empfehlen. Bis Anfang Juli wird das Werk noch zehn Mal gegeben.