Mit dem Abendfrieden, gespielt von den Hörnern, beginnt die Ouvertüre zu Humperdincks "Hänsel und Gretel". So sanft und innig ist die Handlung des Grimmschen Märchens ja nicht durchgehend. Die Geschichte, die wohl jedem bekannt sein dürfte, ist an und für sich ziemlich grausam und brutal. Da könnte man die Oper als eine Parabel über Prekariat oder sogar über Missbrauch deuten. All dies hat es schon gegeben. Regisseurin Ewa Teilmans lässt den Beobachter bei der einen oder anderen Szene auch daran denken, aber dies ist nicht ihr Hauptanliegen. Und, ich möchte hinzufügen, das ist gut so.
Das Bühnenbild von Andreas Becker ist von einer beeindruckenden Effizienz und großen ästhetischen Schönheit. Zunächst sind wir im Elternhaus der Kinder, eine armselige Behausung, eine Bretterverhau. Dank der Drehbühne verwandelt sich die Szenerie im dichten Nebel in den dunklen Wald, wo die Hexe ihr Unwesen treibt. Das Knusperhäuschen selbst scheint direkt dem Lego-Katalog entsprungen und auch sonst sind einige Figuren, wie Sandmännchen und Taumännchen, farbenfrohe Fantasiefiguren - im Gegensatz zur Alltagskleidung von Hänsel, Gretel, den Eltern und den von der Regisseurin hinzuerfunden Großeltern, die stumm das Geschehen beobachten.
Am Premierenabend musste krankheitsbedingt - es ist Herbstzeit - die Zweitbesetzung ran. Aber Camille Schnoor als Gretel und Maria Hilmes als Hänsel waren gewiss mehr als nur ein Ersatz für die Erstbesetzung, die bei den weiteren Vorstellungen (bis Mitte März stehen insgesamt noch deren 17 an) zum Einsatz kommen wird.
Alle Mitwirkenden überzeugten durch Spielfreude und gesanglich absolut angemessene Leistungen. Hervorheben darf man Sanja Radisic als Knusperhexe. Zunächst als knallbunte Verführerin, die sich dann in eine hässliche und fürwahr böse Hexe verwandelt. Im Orchestergraben musiziert das Sinfonieorchester unter der Leitung von Kazem Abdullah sehr gediegen, ohne allerdings die ganze Vielfalt der Partitur auszuleuchten. Die Bläser überdecken doch allzu oft den Streicherklang. Aber dies ist nur eine kleine Randnotiz zu einer wirklich gelungenen Produktion.
Hänsel und Gretel im Theater Aachen kann man besten Gewissens Kindern, aber ebenso Erwachsenen empfehlen. In diesem Monat stehen noch vier Aufführungen an. Weitere Termine bis zum 14. März.
Fotos: Ludwig Koerfer