Die Geschichte des liebesverrückten rasenden Rolands oder Orlando hat zahlreiche Komponisten inspiriert.
Orlando begehrt die Prinzessin Angelica, die ihrerseits für den afrikanischen Prinzen Medoro schwärmt. Für Orlando ist dies eine Liebe ohne Ausweg, die ihn geradewegs in den Wahnsinn treibt, vor dem ihn nur der Zauberer Zoroaster retten kann.
So kurz und knapp kann man die Handlung dieser Oper von Georg Friedrich Händel zusammenfassen und tatsächlich passiert nicht allzuviel in dem Stück, das nur fünf Solisten benötigt und doch über dreieinhalb Stunden dauert.
Diese Oper ist eher ein Kammerspiel und da ist es eine besondere Herausforderung, die Spannung zu halten. Tatsächlich gelingt dies in der neuen Produktion von La Monnaie. Das ist in erster Linie das Verdienst von Dirigent René Jacobs. Mit dem erst seit einigen Jahren bestehenden belgischen Barockorchester B'Rock kreiert er ein farbenreiches, dynamisch grandios abgestimmtes Klangbild, das einen von der ersten bis zur letzten Minute in seinen Bann zieht. Da gibt es keinen Moment der Langeweile.
Phantastische Solisten
Den manchmal vernachlässigten Rezitativen widmet Jacobs ebenso viel Aufmerksamkeit wie den Arien. Und dadurch entsteht nicht eine Sekunde Leerlauf. Ihm steht aber auch ein phantastisches Solistenensemble zur Verfügung. Da gibt es so gut wie nichts zu meckern. Wenn, dann könnte man noch die nicht ganz so perfekte Tiefe von Konstantin Wolff in der Partie des Zoroaster kritisieren, aber das wäre dann schon wirklich das einzige. Ansonsten überzeugt auch er in dieser Rolle.
Dies gilt umso mehr für Sunhae Im als spritzige und dann wieder introvertierte Dorinda oder Kristina Hammarström als bewegender Medoro. Und Sophie Karthäuser ist wieder einmal ein absoluter Glücksfall. Wie sie die verschiedenen Facetten der Angelica darstellt, lässt nie unberührt. Welch wunderschöne Stimme, welche Ausstrahlung und welch intelligente Rollengestaltung. Man versteht, dass René Jacobs (und nicht nur er) so gerne mit ihr arbeitet.
Aber am beeindruckendsten ist der Countertenor Bejun Mehta in der Titelpartie. Kaum vorzustellen, dass es derzeit einen anderen Sänger gibt, der so gnadenlos überzeugend den Wahnsinn des Orlando darzustellen versteht. Er verinnerlicht diese Rolle und seine gesangliche Leistung ist ebenso atemberaubend. Perfekte Stimmführung in gleich welcher Tonlage.
Psychologische Deutung
Pierre Audis Inszenierung ist dem Charakter des Kammerspiels entsprechend eine psychologische Deutung. Da erstaunt es wenig, dass wir gleich im ersten Akt erfahren, dass Orlando, umgeben von seinen Kollegen der Feuerwehr, Dorindas Haus zündelt, obwohl dieser Akt der Zerstörung an und für sich erst im dritten Akt erfolgen soll, oder dass andererseits der gesamte zweite Akt wie eine Traumsequenz wirkt. Hier ist nicht immer alles nachvollziehbar, aber auch nicht einen Moment verwirrend oder gar störend.
Selten sind 210 Minuten so schnell vergangen wie in diesem Orlando. Bis zum 11. Mai steht die Produktion noch auf dem Spielplan der Monnaie.
Hans Reul - Bild: Bernd Uhlig (La Monnaie)