Man könnte aus dem Märchen von Aschenputtel eine gesellschaftskritische Analyse machen: Junges Mädchen wird von böser Stiefmutter, die nur ihren beiden leiblichen Töchtern die Chance einer Eheschließung mit dem Mächenprinzen geben möchte, gemobbt. Ihr Gatte, Aschenputtels Vater, ist ohnehin nur ein Pantoffelheld, der sich dem Schicksal ergibt.
Aber Laurent Pelly und seinem Team geht es in dieser Inszenierung in erster Linie nicht um ein Sozialdrama. Pelly schafft es, uns mit zauberhaften Bildern in die Märchenwelt eintauchen zu lassen. Denn wir wissen ohnehin alle, dass die Geschichte gut ausgehen wird.
Am Ende siegt die Liebe und Aschenputtel und der Prinz werden ein Paar. Alles wird gut! Ganz so sollte man sich auf diese Produktion einlassen. Das Bühnenbild ist dementsprechend eingerahmt von einem Märchenbuch, das sich öffnen lässt und den Blick auf die einzelnen Szenen freigibt. Überraschend impulsiv ist der Einstieg des Orchesters. Dirigent Alain Altinoglu lässt die Bläser in der Ouvertüre kraftvoll beginnen, aber schon bald gewinnen einerseits lyrische Momente und andererseits mit Tempo und Witz vorgetragene Sequenzen die Oberhand. Ganz so wie es die Handlung erfordert.
Und an Humor mangelt es auch dem Bühnengeschehen nicht. Es ist einfach köstlich, wie die Stiefmutter Madame de la Haltière von Nora Gubisch als Karikatur ihrer selbst mit mehr als ausladendem Hinterteil über die Bühne stampft. Ihre beiden Töchter trippeln mit mindestens ebenso beeindruckenden Gesäßen hinter ihr her. Auch die zahlreichen Nebenrollen verpackt Pelly in Kostüme, die in ihrer jeweiligen Übertreibung eine echte Augenweide sind. Und gesanglich lässt das Ensemble auch keine Wünsche offen.
Für die Partie der Märchenfee verlangt Jules Massenet einen ausgewiesenen Koloratursopran. Eglise Gutierrez meistert die Höhen mit einer erstaunlichen Leichtigkeit. Die junge Mezzosopranistin Sophie Marilley schenkt dem Märchenprinzen mit wunderschön geführter Stimme absolute Glaubhaftigkeit und als Cendrillon glänzt Anne-Catherine Gillet, die wir vor einigen Wochen schon als Susanna in Figaros Hochzeit bewundern durften.
Ihr zur Seite steht mit Lionel Lhote als ihr Vater ein weiterer belgischer Sänger. Ohnehin ist die Produktion erfreulicherweise mit zahlreichen jungen belgischen Sängern besetzt, so etwa Ilse Eerens und Angélique Noldus als tolpatschige Schwestern oder auch Yves Saelens und Patrick Bolleire. Bei allem zum Schmunzeln oder gar Lachen anregenden Spielwitz gibt es auch die emotionalen Momente in dieser Massenet-Oper. Vor allem das Duett von Cendrillon und ihrem Vater Pandolfe ist von zu Herzen gehender Intensität.
Dank ihrer feinen Ironie ist diese Cendrillon-Produktion nicht nur für Kinder eine märchenhaftes Vergnügen. Bis zum 29. Dezember steht die Massenet-Oper auf dem Spielplan der Monnaie.
Bilder: Johan Jacobs